Wiedersehen mit Wendisch-Tychow

Am Ende seines Berichts schrieb mein Schwiegervater, dass er trotz aller erlebter Drangsal ungebrochen sei und nur auf den Augenblick warte, um zurückzukehren und an den Wiederaufbau gehen zu können.

Da der einzige Sohn Volker in den Tagen in Ungarn gefallen war, in denen die Sowjets Wendisch-Tychow besetzten, wurden Tochter Ortrun und ich verpflichtet, mit nach Wendisch-Tychow zu kommen, um zu helfen. Zwischen Priesholz bei Kappeln an der Schlei, wo wir den Eltern Quartier gemacht hatten, und Flensburg, wo wir wohnten, lagen nur ca. 40 km. Wir kamen daher häufig zusammen, und immer besprach mein Schwiegervater mit mir seine Pläne, was in Zukunft in Wendisch-Tychow zu tun und was von vorne herein zu verbessern sei.

Mein Schwiegervater hat die Heimkehr nach Pommern nicht erleben dürfen. Er starb 1953 in unserer Wohnung in Flensburg. Durch berufliche Zwänge konnten Tochter Ortrun und ich erst 1974 eine Reise nach Pommern und Wendisch-Tychow durchführen. Schwiegermutter wohnte inzwischen in einem Heim, war 84 Jahre alt geworden und beim Sehen behindert, so dass sie auf eine Mitfahrt verzichten mußte. Wenn ich nun vom Wiedersehen mit Wendisch-Tychow berichte, dann blicken Tochter Ortrun und ich auf 17 Reisen von mindestens je einer Woche nach Pommern zurück. Wir wohnten meistens in Stolp, aber auch in Schlawe und einmal in Besow am Rande des Tychower Waldes, was besonders schön war.

Unser erster Besuch in Wendisch-Tychow stieß auf Feindschaft und böse Reaktionen. Während des zweiten und der dann folgenden Besuche aber lockerte sich das Verhalten der derzeitigen polnischen Bevölkerung in Wendisch-Tychow uns gegenüber; und heute wissen die meisten Einwohner wer wir sind, wenn wir die Dorfstraße entlang gehen, und einige grüßen. Wir führen dieses veränderte Verhalten dar- auf zurück, dass wir bei jedem Besuch am derzeit katholischen Gottesdienst in Wendisch-Tychow in der Kirche (in der wir getraut wurden) teilnehmen, obwohl uns das Innere der Kirche sehr fremd geworden ist. Anschließend sind wir häufig mit dem jeweiligen Pfarrer bei der Lehrerin Eva Posnik zum Mittagessen eingeladen. Auch das wird auf die Einwohner Eindruck gemacht haben.

Neben der, inzwischen pensionierten Lehrerin Posnik, die etwas deutsch spricht und außerordentlich gastfrei ist, besuchten wir auch immer den Brenner Albert Soltan, der mit seiner Familie gleichfalls gastfrei und hilfreich war. Leider verunglückte er tödlich bei einem Autounfall. Seine Frau leitet seither die Brennerei, bis der Sohn nach Beendigung seiner Ausbildung diese übernehmen kann.

In Wendisch-Tychow wohnt auch der inzwischen pensionierte Unterförster Domarus, der neben deutsch auch englisch und französisch spricht. Er unterstand, zusammen mit dem Unterförster Trybula, dem Forstmeister Rozycki in Suckow. Beide, Trybula wie Domarus, waren auch für den Tychower Wald verantwortlich.

Zu den landwirtschaftlichen Direktoren in Wendisch-Tychow bekamen wir keine nennenswerten Kontakte; sie haben auch verhältnismäßig oft gewechselt. Nach unserem Eindruck im Dorf und auf dem Feld verfügten sie nicht über ausreichende Kenntnisse in der Landwirtschaft, noch in der Menschenführung. Einem dieser Leute ist es wohl auch zuzuschreiben, dass das Wendisch-Tychower Herrenhaus so verfallen war, dass es zu einer gefahrvollen Ruine wurde und schließlich gesprengt werden mußte. Da das alte Beamtenhaus auch verfiel, obwohl jahrelang Steine und Ziegel zur Reparatur am Haus bereit gestellt waren, wohnten bis vor zwei Jahren die „Kierownik's" im Dorf. Nun aber wohnen sie in einem Neubau, der dort errichtet wurde, wo sich früher die Vorfahrt zum Herrenhaus befand. Entgegen sonstigen polnischen Bauweisen sieht dieser neue Bau ganz ordentlich aus. Anbauten für Büro's und Lehrlingswohnungen sollen folgen.

Eine große Zahl der früheren Häuser in Wendisch-Tychow ist verschwunden, und die meisten Vorwerke sind verfallen. Der für die Familie so unvergeßliche Stüwe-Hof, wie auch Sigurdshof existieren nicht mehr. Andererseits hörte man, dass Ziegelhäuser abgerissen wurden, um Warschau wieder aufzubauen. Auch auf dem Gutshof sind viele Gebäude verschwunden. Einige Viehställe wurden innerhalb des Gutshofes wieder errichtet, andere außerhalb neu gebaut. Aber diese Bauten machen auch schon wieder einen völlig vernachlässigten Eindruck. Insgesamt aber unterscheidet sich der Wendisch-Tychower Gutshof, was Ordnung und Sauberkeit angeht, nicht von allen anderen Höfen der Umgebung! Die Wendisch-Tychower Kirche, in der unter sowjetischer Besatzung noch evangelische Gottesdienste in deutscher Sprache stattfinden konnten, hat durch die Polen und durch den polnischen Katholizismus im Innern große Veränderungen erfahren. Die Patronatsloge wurde zum Kirchenraum zugemauert und dient jetzt als Unterrichtsraum. Die darunter gelegene Familiengruft wurde gänzlich zugemauert; sicherlich, um die Verwüstungen schamvoll zuzudecken. -

Wenn man nach vielen Jahren wieder die Oder überquert und auf der Stettin-Danziger Chaussee gen Osten fährt, dann ist man völlig eingenommen von der Weite der pommerschen Landschaft und - des Himmels! Der Verkehr war und ist über weite Strecken so gering, dass der Fahrer alle Eindrücke in sich aufnehmen kann. Allerdings muß er auf das am Straßenrand weidende Vieh achten, um gegebenenfalls ausweichen zu können. Herrlich, die Chaussee-Bäume, zunächst auch noch entlang der Danziger Chaussee; nun sind sie zumeist gefällt, um die Fahrbahn zu verbreitern. Doch vielfach schon wurden neue Bäume entlang der verbreiterten Straße gepflanzt. Seitwärts der großen Durchgangsstraßen sind die Alleen erhalten, der Straßenbelag ist überall gut, nur die Durchfahrten durch die Dörfer sind noch recht altertümlich. Die Städte und Dörfer sehen nicht nur für unsere Augen vernachlässigt, ungepflegt und verfallen aus. Viele Orte lassen noch die Spuren des Krieges oder der nachfolgenden Zerstörungswut erkennen. Stolp ist eine wohltuende Ausnahme, aber Schlawe zeigt immer noch ein bedauernswertes Bild. Die Polen haben von der alten Substanz im wesentlichen nur die Kirchen, historische Gebäude (die sie dann für die einseitige Darstellung der Geschichte nutzen) und alte Bürgerhäuser erhalten. Alte Bauernhöfe sind aber dem Verfall preisgegeben.

Während der ersten Fahrten lagen noch viele Äcker brach, oder waren mit Wildwuchs bestanden. Das hat sich geändert. Aber die Ernteergebnisse sind gering und von mäßiger Qualität. In Wendisch-Tychow war bisher kein bestelltes Feld zu sehen, dass an frühere Bilder anknüpfen konnte. Die Rieselwiesen sind verkommen, die Gräben nicht mehr geräumt, und die Feldwege sind so ungepflegt, dass immer breiter seitwärts der Wege gefahren wurde. Der Park mit seinen Fischteichen ist zu einer Wildnis geworden. Alte, wertvolle Bäume sind verkommen, liegen und verfaulen. Da die Parks überall nicht der Forstverwaltung, sondern der Gutsleitung unterstehen, wird aus Unkenntnis und Unverständnis nichts für sie getan, und der oft große und wertvolle Baumbestand verkommt.

Die Forstverwaltung und die Bewirtschaftung der Wälder ist gut. Schon während weit zurückliegender Zeiten bekamen die polnischen Forstbeamten ihre Ausbildung auf deutschen und französischen Akademien. Das ist heute noch zu merken. Leider haben die pommerschen Wälder in den letzten Jahren unter starkem Ungezieferbefall zu leiden gehabt. Mit der Bekämpfung wurde zu spät eingesetzt und teilweise wurde aus der Luft nicht flächendeckend gespritzt, so dass erkennbare Striche unbekämpft blieben. Der Tychower Wald wurde von Suckow aus bewirtschaftet, wie bereits berichtet; er gehört zu einem Unterbezirk, der auch Notzkow, Besow und Ziegnitz einschließt. Der Rauhe Berg, für alle Tychower ein Begriff, wurde abgeholzt; einige Flächen an der Zollbrücker Chaussee und zur Niedermühle hin sind angeschont worden.

Wir verliefen uns im Tychower Wald, hinter dem Mühlenbach und rechts von der Zollbrücker Chaussee. Die Forstverwaltung hat eine andere Jagen-Einteilung und eine neue Bezifferung vorgenommen, so dass ein alter Plan nicht mehr half, und - wir bedachten nicht, dass sich ein Baumbestand in Jahren erheblich verändert.

Im Tychower Wald wird die Jagd von einer Jäger-Genossenschaft ausgeübt, zu der u.a. auch der Brenner in Wendisch-Tychow und der Lehrer in Zitzewitz gehörten, diese Genossenschaft verkauft aber auch Abschüsse. So erzählte der vorher erwähnte pensionierte Unterförster Domarus 1978, dass gerade von einem Holländer ein kapitaler Hirsch für DM 8000,- erlegt worden sei. Wir trafen einmal österreichische Jäger - natürlich hat man keine besonders freundlichen Gefühle, wenn man diese Fremden sieht, oder von dem Verkauf von Abschüssen hört. Dort wo früher der Sigurdshof, das ehemalige Mühlenvorwerk stand, und wo nicht ein Stein mehr zu finden ist, haben die Polen einen Parkplatz eingerichtet, leider verfällt er schon wieder. Besonders entlang der großen Straßen waren mit Phantasie und Geschmack aus Holz Parkplätze entstanden, sie vermittelten einen einladenden Eindruck, aber sie bedürfen natürlich auch der Pflege.

Wir sind, wie erwähnt, sehr oft in Wendisch-Tychow nach 1974 gewesen, und werden weiterhin dort präsent sein, und wir nehmen die nachfolgende Generation mit, um sie einzuweisen. Dies ist zur Zeit die einzige Möglichkeit zu zeigen, dass Wendisch-Tychow und Pommern nicht aufgegeben und die nächste Generation uns in dieser Absicht folgen wird!

Nachtrag:

Nachdem sich die politischen Verhältnisse im heutigen Polen etwas verbessert haben und Aktivitäten von Ausländern erwünscht wurden, bemühten meine Frau und ich uns, zusammen mit unserem Vetter Sigurd-Ewald v. Kleist, durch eine kleine Pachtung in Wendisch-Tychow wieder Fuß zu fassen. Uns schien, dass das völlig verwahrloste Vorwerk Seehof für unsere Pläne sehr geeignet sei, und wir fanden Unterstützung von polnischer Seite in Suckow, Wendisch-Tychow und in Schlawe. Aber ein Pole, der sich dort wo früher das Schloß stand, eingenistet hat, und ein mit ihm verbündeter deutscher Geschäftemacher, dieser in besonders übler Form, hinderten uns, so daß unsere Bestrebungen zur Zeit ruhen.



Hans Radloff

 

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