Des Herrn Christian Ewald von Kleist sämtliche Werke

Berlin, bey Christian Friedrich Voß 1760

Prosaische Aufsätze

I.

Ich las neulich, ehe ich mich schlafen legte, des Boileau Gespräch, Pluto genannt. Die Bilder des unterirrdischen Reichs, die sich dadurch meinem Gemüth eingepräget hatten, waren vermutlich die Ursache des nachfolgenden Traums. Mich dünkte, daß ich mich am Eingange der Unterwelt befände, wo Minos auf seinem fürchterlichen Richterstul, über die ankommenden Schatten der auf der Oberwelt verstorbenen Menschen, Gericht hielt; zu seiner Rechten stand der Hüter der elysäischen Felder, und zu seiner Linken der Hüter des Erebus. Womit haben Sie sich aus Erden beschäftiget, mein artiger Herr? sagte Minos zu dem ersten Schatten, der sich ihm näherte. Der junge Herr ward über die Frage nicht wenig verwirrt. Endlich erholte er sich, und antwortete, indem er ein Ballet zu tanzen schien: "Ich bin niemals müßig gewesen. Alle Tage habe ich meine ungelehrigen Haare, mit Hülfe eines heißen Eisens, und anderer Kunstgriffe, unterrichtet, in wallenden Locken zu spielen. Ich gewöhnte mein Gesicht vor dem Spiegel zum lächeln, und meine Füße zu Reverenzen, die ich mit großem Anstande glitschte. Im Pirouett, das ich auch vor dem Spiegel zur Vollkommenheit brachte, hat es mir niemand meiner eifersüchtigen jungen Zeitverwandten zuvor gethan. Ueberdem las ich galante Schriften, und vergnügte, mit Erzählung der Gegebenheiten, die ich darinn fand, die Schönen bey meinen Aufwartungen, am Nachttische. Ich besuchte Concerte und Bälle, und sang und pfiff und trillerte. - Und du hast dein Leben nicht müßig hingebracht? sagte Minos: Fort mit dir zu meiner Linken! Fort mit dir! Der Cerberus soll dir lauter Pirouetten springen und lauter Triller heulen, damit du nicht aus der Gewohnheit kommest! - - Und du? bist du auch ein Müßigganger gewesen? rief Minos hier einem röthlichen und fetten Schatten zu, der auf den jungen Herrn folgte. Du hast sehr die Miene davon. - "Der bin ich nicht gewesen, antwortete der fette Schatten. Müßiggänger habe ich immer gehaßt. Die ohne Verrichtung leben, und alle Tage spatziren gehn, und Felder und Wälder durchstreichen, sind Müßiggänger, wenn sie gleich vorwenden, daß sie es thun, um die Schönheiten der Natur zu bewundern, oder im Schatten zu lesen. Ich war Prälat, und hatte meine Verrichtungen. Ich mußte meine Einkünfte berechnen, täglich zwey Küchenzettel machen, und meiner Haushaltung vorstehen, und habe niemals im Schatten gesessen, als etwa im Schatten von meinem großen Weinfasse. - Und da gewiß nicht müßig, versetzte Minos. In Elysien ist zu viel Schatten für dich. Man bringe ihn nach dem Erebus, zu den Fässern der Danaiden! Er hat genug gezapft, er kann auch einmal anfüllen. Was hast du im Leben gethan? frug Minos ferner eine Matrone, die auf ihn zukam. "Ich habe meinem Manne, der Pächter eines Vorwerks war, zwölf Kinder geboren, die ich ihm mit meiner Hände Arbeit ernähren half, und sorgfältig und fromm erzog. Meine Mühe hat auch so gut gefruchtet, daß mein ältester Sohn einer der besten Obstgärtner in unserer Gegend ist, auch den Ackerbau und die Wirthschaft der Bienen sehr gut versteht; und meine älteste Tochter, die bey meinem Manne geblieben ist, weiß, ohne Ruhm zu sagen, mit dem Obst-trocknen so gut umzugehen, und ist überhaupt eine so gute Wirthin, als eine im Lande. " Minos lächelte über die Einfalt der guten Frau, und sagte: Hier wird sie niemand heyrathen. Aber, fuhr er fort, dein Mann wird hier bald bey dir seyn, und ihr sollt beide - Die ehrliche Frau stutzte ein wenig und erwiderte: "Gut! Aber wenn er nur nicht mehr so viel Toback rauchte! Und Minos empfahl sie dem Hüter der elysäischen Felder. - - Nunmehro folgte ein kaum sichtbarer Schatten. Er schien der Schatten eines Schattens zu seyn. Auf die Frage des Minos, wie er gelebt habe? antwortete er. "Ich habe gesucht meine Schuldigkeit zu thun, und den Endzweck zu erfüllen, warum mich die Götter auf die Erde gesetzt. Ich bin aber doch nicht glücklich gewesen. Ich hatte einen kränklichen Leib, und war von trauriger Gemüthsart, und habe bey meiner Unschuld mehr als Erebus Qualen erlitten. " Du bist milzsüchtig gewesen, sagte Minos. Fange mir nur hier nicht an zu klagen. Und was hieltest du für deine Schuldigkeit, die du dich bestrebt hast zu thun? "Was mir Tugend, meine Vernunft, und die Ehre befahlen, " erwiederte der dürre Schatten; "denn ich hielt ehrliebend handeln, und der Götter Willen erfüllen, für einerley. " - "Er war, " fing der Schatten seines Nachbarn an, der unmittelbar auf ihn folgte, "er war das Glück und der Trost seiner ganzen Gegend. - O Nein! sagte der Traurende, o nein! Ich habe die ganze Gegend traurig gemacht. Ich - - Er hat allen Aermern von seiner Armuth mitgetheilet, fuhr der Nachbar fort, und ohne ihn hätte ich mein Leben in großem Elende hingebracht. Er war mäßig, keusch, mitleidig, großmüthig, dankbar, unvermögend zu der geringsten Bosheit, ganz Ehre und ganz Freundschaft; nur seine traurige Gemütsart, die von einer kränklichen Leibesbeschaffenheit, und von hochmüthigen Bösewichtern, vermehret ward, die ihn aus Neid lästerten, und verfolgten, war Schuld, daß er nicht, seinen Verdiensten nach, glücklich war. - - Nein, nein ! ich habe meine Schuldigkeit - rief der traurige Schatten" -Minos winkte dem Aufseher der elysäischen Felder, die beiden guten Schatten in Empfang zu nehmen. Der Nachbar ist auch ein ehrlicher Mann gewesen, sagte Minos, denn es ist schon eine große Tugend, der Tugend Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. - Kaum berührte der Hüter Elysiens den traurigen Schatten, als Freude und Entzückung aus seinen Augen sah, und sein ganzes niedergeschlagenes Gesicht sich aufheiterte, so wie eine Blume vom Regen naß, und von Stürmen gedrückt, der schnell hervorkommenden Sonne schimmernd entgegen lacht. - Cerberus fieng nun gewaltig an zu heulen. Er bewillkommt seine Gäste, sagte Minos. Dort kömmt ein ganzer Schwarm betrunkner Bösewichter an. Sie haben sich Muth getrunken, und sind in der Schlacht getödtet worden, die itzt eben auf der Oberwelt geliefert worden. Ein gräßliches Geschrey, von dem ich, außer Tarem tetem! bassa malenka! stich! Hund! tue! tue! nichts verstand, wirbelte von ihren bärtigen Lippen, so, daß das ganze unterirdische Reich davon erscholl, und ich vor Schrecken aus dem Schlaf erwachte. "

II.

Mein Herr Aufseher!

Sie glauben durch Ihre Spöttereyen und lustigen Einfälle die Welt zu bessern, und es ist möglich, daß Sie etwas Gutes dadurch stiften, ob ich gleich zweifele, daß es viel seyn werde. Die Menschen denken selten, daß sie die Urbilder der lächerlichen Abschilderungen sind, die man in den Schriften der Satyrenschreiber findet, und machen gern andere dazu; wodurch sie denn eher boshafter, als besser werden. Wäre es also nicht von grösserm Nutzen, wenn Sie der Welt Gemälde von edlen Charaktern, tugendhaften und großen Handlungen u. d. gl. vor Augen legten, und sie aus diese Art zur Nachahmung anfeuerten? Beyspiele von Verachtung der Reichthümer, von Standhaftigkeit im Unglück, von außerordentlicher Freundschaft, seltener Treue und Redlichkeit, Mitleiden gegen die Armen, Aufopferung seines eigenen Nutzens für den Nutzen der Welt; und mit einem Worte, Beyspiele von Handlungen, die aus der Größe der Seele entsprungen sind, rühren ungemein, reizen zur Nachahmung, und bessern mehr, als aller Spott und alle Geißeln der Satire. Damit ich meine Meynung begreiflich mache; so erlauben Sie, daß ich Ihnen ein paar Exempel von dieser Art erzähle, die ich beide aus Lucians Toxaris genommen habe. Eudamidas, ein Korinther, hatte zwey Freunde, den Charixenus, einen Sycionier, und den Aretheus, einen Korinther. Weil er nun arm, seine zwey Freunde aber reich waren, machte er sein Testament folgendermaßen: "Dem Aretheus vermache ich, meinte Mutter zu ernähren, und ihr in ihrem Alter beyzustehen: dem Charixenus, meine Tochter zu verheyrathen, und sie, so gut als es ihm nur immer möglich ist, auszustatten. In dem Falle aber, daß einer von beiden mit Tode abgehen sollte: so setze ich den noch lebenden an des Verstorbenen Stelle ein. " Diejenigen, welche dieses Testament zu sehen bekamen, spotteten darüber. Allein seine Erben nahmen dasselbe, auf die erhaltene Nachricht, mit besonderm Vergnügen an. Ja, als einer von ihnen, Charixenus, fünf Tage nachher gestorben, und seine Stelle zum Vortheil des Aretheus erledigt worden war; ernährte dieser die Mutter sorgfältig, und gab von den fünf Talenten, welche er im Vermögen hatte, zwey und ein halbes seiner einzigen Tochter mit, die andern zwey und ein halbes aber der Tochter des Eudamidas, welchen er auch allen beiden an einem Tage die Hochzeit ausrichtete. Und nun hören Sie auch die zweyte Geschichte. Um die Pracht der Pyramiden, die metallene Bildsäule des Memnons, die von der Morgensonne erklang, den Nil, und andere Wunder der Natur und Kunst zu sehen, reiseten Demetrius nebst seinem Freunde Antiphilus, die sich beide den Wissenschaften gewidmet hatten, aus Griechenland nach Egypten. Kaum waren sie daselbst angekommen als Antiphilus erkrankte. Demetrius ließ ihn in den Händen eines Arztes, und eines Bedienten, Syrus genannt, und verfolgte seine Reise den Nil herauf. Syrus war indessen von ohngefehr mit Räubern in Bekanntschaft gerathen, die ihm gestohlne güldne und silberne Gefäße aus des Anubis Tempel, wie auch den güldnen Gott selber, in Verwahrung gegeben hatten. Die Sache ward ruchtbar: man warf, wegen des Bedienten, Verdacht auf den Herrn; und Antiphilus ward nebst dem Syrus und den Räubern in Verhaft genommen. Man brachte sie in ein finsteres unterirdisches Gefängniß, und legte sie in Ketten. Antiphilus mochte im Verhöre den Richtern von seiner Unschuld sagen was er wollte, er blieb in Ketten und im finstern Gefängniß, in Gesellschaft der Räuber. Er überließ sich hierauf, einige Monate lang, dermaßen dem Schmerz, daß er zuletzt keine Speise mehr zu genießen vermochte, daß der Schlaf ihn floh, der ohnedem auf der harten und feuchten Erde nicht sanft seyn konnte, und daß er beynahe, da er kaum genesen war, wieder in eine tödtliche Krankheit verfallen wäre; als eben Demetrius von seiner Reise zurück kam. So bald dieser erfahren hatte was vorgieng, eilte er zu dem Gefängniß, und brachte es, durch Bitten und Flehen, bey dem Kerkermeister so weit, daß er zu dem Antiphilus, von dem Kerkermeister begleitet, gelassen wurde. Er erkannte seinen Freund nicht mehr, so hatte denselben der Schmerz und das Elend verstellt, und er mußte ihn mit Namen ru-fen, um ihn zu finden. Mit tausend Thränen umarmeten sich endlich die beiden Getreuen. De-metrius sprach dem Antiphilus Muth ein; und weil er sahe daß des Antiphilus Kleidung im Kerker von der Feuchtigkeit zerrissen und ganz verdorben war: zerschnitt er gleich seinen eigenen Mantel in zwey Stücke, und gab dem Gefangenen die eine Helfte. Weil er auch auf die Reise fast alle sein Geld verwandt hatte; so faßte er den Entschluß durch körperliche Arbeit, ob er sie gleich nicht gewohnt war, seinem Freunde und sich Unterhalt zu verschaffen, und half, mit schwachem Leibe, den Schiffern Lasten in die Schiffe tragen. So ernährte er sich und den Antiphilus eine ziemliche Zeit, und schaffte ihm etwas Bequemlichkeit und Linderung seines Unglücks. Allein bald darauf starb einer von den Räubern, und man muthmaßete, daß er Gift eingenommen hatte. Dem Demetrius ward also, wie einem jeden, der Zugang zu dem Kerker untersagt. In diesen traurigen Umständen, die ihm das größte Unglück zu seyn schienen, wußte er kein ander Mittel zu seinem Freunde zu kommen, als sich für mitschuldig anzugeben. Er that es, und ward zum Antiphilus geführt. Dieser erstaunte, als er den Demetrius unvermutet, in Ketten, wieder sah, und zerfloß in Zähren über diese neue Probe seiner großen Freundschaft, und seines edlen Gemüths. Sie weinten beide voll Zärtlichkeit, und trösteten sich mit der Fürsorge des Himmels, dem sie vertrauten. - Lange Zeit saßen sie ohne Hoffnung der Befreyung, und waren wund von den Fesseln, und abgefallen von Gram und von der schlechten Nahrung, die man ihnen reichte; bis einer der Räuber Gelegenheit fand, durch Scheidewasser sich und alle Gefangenen von den Ketten zu befreyen, und aus dem Gefängniß zu helfen. Ein jeder der Erlöseten, rettete sich mit der Flucht, so gut er konnte, nur Demetrius und Antiphilus blieben zurück; und sie meldeten selber dem Präfektus was vorgegangen war. Dieser, der nunmehr von ihrer Unschuld überzeugt ward, lobte sie sehr, beschenkte sie, besonders den Demetrius, so reichlich, daß sie, ihr ganzes Leben durch, keinen Mangel zu besorgen hatten, und ließ sie vergnügt in ihr Vaterland zurück kehren.

Ich bin,

Mein Herr Aufseher,

Ihr Freund und fleißiger Leser. v. K.

III.

Charon und Catilina

Ein Gespräch.

Charon.

Dein Schatten sieht ja sehr blutig und zerfetzt aus. Du bist gewiß ein Held gewesen, und in einer Schlacht geblieben?

Catilina.

Du räthest recht. Ich war es, und bin in einer Schlacht geblieben.

Charon.

Wie hießest du?

Catilina.

Catilina.

Charon.

Ich kenne dich. Viele Römer, die ich über den Fluß gefahren, haben mir Beschreibungen von dir gemacht. Aber warum suchtest du den Untergang deines Vaterlandes? Was hatte es gegen dich verbrochen?

Catilina.

Es war ungerecht gegen mich, und versagte mir Ehrenstellen, die ich verdiente. Ich wollte mir also das mit Gewalt schaffen, was man mir, weil ich ohne Gewalt war, versagte. Ich hatte einerley Absichten mit Cäsarn, und war so groß als er, nur nicht so glücklich.

Charon.

Du warst also wohl ein tugendhafter Mann?

Catilina.

Um dieß Verdienst der Schwachen habe ich mich so wenig bekümmert, als Cäsar. Ich war ein großer Feldherr und Staatsverständiger, voller Ehrbegierde und großen Anschläge. Charon. Also warst du ein außerordentlicher Mann, wie alle berühmten Räuber auch waren; aber kein großer Mann, denn dieser muß zugleich redlich und tugendhaft seyn. Ist es wahr, daß du der Wollust so sehr ergeben gewesen?

Catilina.

Ich habe geglaubt, daß ich aus der Welt wäre, um glücklich zu seyn, daher habe ich mir freylich keine Art des Vergnügens versagt.

Charon.

Das heißt: du hast geschwelgt, und betrogen um zu schwelgen; du hast alle Nächte mit Tanz und Unzucht hingebracht, und den halben Tag verschnarcht. Um zwölf Uhr Mittags ließest du dich aus dem Schlafe wecken, es mochte Tag oder Nacht seyn; nicht wahr?

Catilina.

Du scherzest. Ich war aus Gründen wollüstig wie du gehört hast. Allein meine Neigung zur Wollust hinderte nicht, daß ich nicht Kälte und Hitze, Hunger und Durst, und alles Elend, trotz jemand, ertragen konnte, so bald es nöthig war. Rom hat es erfahren. - Niemals hätte ich einen Posten, den ich vertheidigte, aus Mangel von Gemächlichkeit und Lebensmitteln übergeben. Ich hätte meine linke Hand gegessen, um mit der rechten noch zu streiten.

Charon.

Ein ganz besonderer Mann! Du hättest den Galgen oder den Thron verdient, Catilina! Das Ruder wäre eine Begnadigung für dich gewesen. - Doch komm, und laß dich begnadigen! Du bist stark und nervicht, greif einmal das doppelte Ruder an, und versuch deine Kräfte! Ich will dich mir vom Pluto zum Ruderer ausbitten, damit ich Alter ein wenig beym leichten Steuer ausruhen kann.

IV.

Mein Herr Aufseher,

Die Mühe, welche sich Ihre Vorgänger, der Zuschauer und der alte Aufseher, um die Verbesserung der Sitten gegeben, ist nicht fruchtlos gewesen. Besonders hat das sogenannte schöne Geschlecht seitdem seine Hälse und Waden wieder bedeckt, davon erstere immer langer wurden, und letztere immer mehr zum Vorschein kamen, so daß, wenn die Kleidung von unten und oben noch immer mehr zusammen geschrumpft wäre, die Damen endlich zu dem Feigenblatte ihrer ersten Mutter zurück gekommen wären. Die ungeheuren Fischreusen, darinn oft ein ungestalter Fisch steckte, ich meyne, die Reifröcke, sind durch die witzigen Spöttereyen dieser Ihrer Vorgänger, auch aus der Mode gekommen. Auch die eifersüchtigsten Ehemänner sahen endlich ein, daß Pope recht gehabt, davon zu sagen:

Dieses siebenfache Bollwerk widersteht nicht stets der List,
Ob es gleich durch Wallfischrippen und durch Reifen furchtbar ist.

Sie widersprachen also der Demolirung dieses Bollwerks nicht mehr, und man fieng an sich natürlicher zu kleiden. Die Amazonenkleidung, die, nebst einigen andern, seitdem aufgekommen, so männlich sie auch aussieht, sieht doch nicht buhlerisch, sondern sittsam genug aus, indem sie die Hälse und Beine verkürzt. - Allein, welcher Geist der Frechheit muß den Schönen eingegeben haben, daß eine jede Person, die einen Hut aufhabe, auch reiten müsse!

Sie galoppiren itzo, traversiren, und tummeln ihre Pferde trotz einem Kürassirer, und man hört sie von Kariere und Karakol sprechen, und mit diesen Kunstwörtern der Reitkunst, gleich einem Stallmeister, in Gesellschaft um sich werfen. Man kann von ihnen sagen, was einer unserer Dichter von einem andern sagt, der Beschreibungen von Turnieren u. d. gl. gemacht hatte:

- - - Wer ist, der so wie du,
Der Pferde Köpf und Sitten alle kennet?
Du Pferdebändiger! - -

Was ist ein größerer Beweiß, daß nichts auf der Welt so ausschweifend ist, dazu sich die Menschen nicht verleiten lassen, als dieses, daß das schöne Geschlecht, welches sein ganzes Leben durch auf alle möglichen Mittel zu gefallen sinnt, und fast ganz allein darauf sinnt, durch nichts aber so sehr gefällt, als durch Sittsamkeit, daß dieses Geschlecht auf Ausschweifungen geräth, die der Sittsamkeit, und seinem Endzwecke zu gefallen, so sehr entgegen sind! - St. Evremond glaubte daß die Gelehrsamkeit eine Frau ziere, so wie ein Stutzbart sie zieren würde, (welches doch ohne Einschränkung nicht gegeben werden kann; ) Was würde er nicht sagen, wenn er itzt auflebte, und eine unserer Amazonen einen Springer reiten sähe! Käme ihm zu gleicher Zeit einer von unsern geschminkten und mit Schönpflästerchen schattirten jungen Herrn vor die Augen: würde er nicht des ältern Plinius Erzählungen von verwandelten Männern in Frauen, und Frauen in Männer, vor wahr halten, und glauben, daß diese Art wieder aufgelebt wäre?

Doch das mindere Gefallen, ist der geringste Schaden, den sich das schöne Geschlecht durch diese allzumännliche Aufführung zuziehen kann In welche Gefahr geräth es nicht, wenn sein Blut durch die heftige und ungewohnte Bewegung, in Wallung gebracht wird! - Ich habe einen verbuhlten jungen Herrn gekannt, der keiner Dame lieber die Aufwartung machte, als wenn sie eben vom Pferde gestiegen war, und er sagte, daß er niemals glücklicher gewesen, als bey solcher Gelegenheit. -

Sie werden der Sache weiter nachdenken, mein Herr Aufseher, besonders da Sie selber eine Schwester haben, die gern als eine Amazoninn reitet; und wie ich hoffe, werden Sie der weiblichen Welt ihre Betrachtungen darüber nicht mißgönnen. Sie sind dieses dem Nutzen der Helfte des menschlichen Geschlechts, allen ehrlichen Ehemännern, und sich selber schuldig.

Ich bin u. s. w.

Berlin, den 10 May 1759

Leberecht Fußgänger

V.

Ich habe einen Freund, der ein Engelländer und Dichter und ein besonderer Liebhaber vom Spazierengehen ist. Neulich, als ich ihn des Abends in seiner Behausung vergeblich gesucht hatte, fand ich ihn im Walde auf einem Felshügel im Grase ruhen, bey einem kleinen Bach, der unter einer Decke von wilden Rasen hervor schießt, und in Wasserstaub und Schaum aufgelöst, ins Thal fallt. Das Geräusch des Wasserfalls verhinderte ihn, meine Ankunft zu hören. Ich schlich mich hinter seinem Kopfe heran, und ward gewahr, daß er in seine Schreibtafel, unter lautem Seufzen, und mit Vergießung einiger Thränen, die letzten Zeilen einer Poesie schrieb. - Nun wollte er aufstehen, und sah mich. - Sind Sie schon lange hier? sagte er etwas erröthend, ich habe Sie nicht kommen gehört. Seit dem Sie so laut seufzten, bin ich schon hier, antwortete ich, und als Ihnen Zähren auf die Schreibtafel fielen. Der schöne Frühling und dieser schöne Frühlingsabend, versetzte er, hat mich in eine so angenehme Wehmuth gebracht, daß ich nicht widerstehen konnte einige meiner Empfindungen niederzuschreiben, und dabey kann ich in Gedanken geseufzt haben. Er theilte mir hierauf seine Arbeit mit, und wird mir verzeihen, daß ich sie in einer schwächern prosaischen Uebersetzung bekannt mache.

Wie sanft rauscht dieser Wasserfall, und hört nicht auf zu rauschen! Wie zittert seine Flut im Thal unter Blumen fort, die sich über seine Fläche biegen. Noch vor kurzem stürzte er unter einem Bogen von Eise hervor; die Erde lag traurig und betrübt, in eine weiße Todtenkleidung gehüllt. Büsche und Wälder waren mit Flocken beschleyert, und von ihren singenden Bewohnern verlassen. Die starken Leiber der Stiere und der Hirsche waren mit Reif und Eise begossen, daß sie wie in tönenden Panzern einhergiengen. Alle Geschöpfe fühlten die Last des Winters. - Wie gnädig ist Gott! wie verjüngt und erquickt er alles was lebet. Denn Er war es, der mit all-mächtiger Hand den Lasten der Weltkörper den ersten Schwung ertheilte, durch den sie ewig in ihrem Gleise laufen, und die Abwechselung der Jahrszeiten hervorbringen. - Die röthere Sonne sieht itzo die grüne und blühende Erde im Meer ihrer Strahlen um sich schwimmen. Der Wallfisch ruht auf den wärmern Fluten gleich einer schwimmenden Insel, oder stürzt sich in den Abgrund des Meers, und erregt Strudel indem er scherzt und der Nautul ist sich selbst wieder Schiff, Ruder, Segel und Steuermann. Unzählbares Geflügel, das unsere Fluren verlassen hatte, eilt itzo fröhlich übers Meer heran, und reitet gleichsam in Heeren, auf den unsichtbaren Wellen der Lust. Alle Wälder erschallen von Tönen fröhlicher Bürger. Der Elephant und alle ungeheure Thierberge, das mannigfaltige kleine Vieh, und alles Gewürm, das in der Erde, das in den Bäumen der Wälder, das in der Luft und in den Wassern lebt, fühlt den mächtigen Hauch des allbelebenden Frühlings. O! danket dem Herrn und preiset seinen Namen, alle die ihr seine Gnade fühlt. Ein allgemeines Koncert steige von euch zu seinem Throne empor! Leiht mir eure Stimmen ihr Donner, die ihr itzo wieder in den Lüften wohnet, des Herrn Lob der Erde zu verkündigen! - Und o! wie reizend funkelt dort der Abendhimmel in purpurfarbnem und goldnem Lichte! Dort gleicht er einer Landschaft voll Wiesen, voll Wälder, voll Berge, voll Seen; und dort einem Meere voll feuriger Wellen. Holde Gerüche verbreiten sich, und eine tiefe Stille herrscht überall, die nur vom Gemurmel des kleinen Bachs gestöret, und von Zeit zu Zeit von dem melancholischen Liede der Nachtigall unterbrochen wird, und von einer ländlichen, seufzenden Flöthe. - Sey ruhig mein Herz! Sey ruhig wie die Luft! und sey es immer! Nie empören sich stürmische Leidenschaften in dir, außer Haß und Zorn gegen Ungerechtigkeit und Laster! - Herr, der du mir den Morgen und Mittag meines Lebens ertragen halfst, laß den Abend desselben, der sich mit geschwinden Schritten nahet, ach! laß ihn schöner als den Tag seyn. Laß mich, wenn er kommt, so wie den sterbenden Tag, vor Freude glühen, daß ich deine Wohnungen, daß ich deine Herrlichkeit sehen soll. - Und ihr, meine Freunde, die ihr mir Glück, Ehre, Reichtum und alles waret, die ihr meine Fehler und Schwachheiten, um meines Herzens willen übersahet, weint dann einige Thränen um mich, wann meine schon halb gebrochenen Blicke entzückt um den Himmel taumeln werden. "

VI.

Es ist ein Glück für das menschliche Geschlecht, daß bey den unter ihm eingerissenen Lastern, die Neigung zur Wollust viel gemeiner ist, als die Ehrsucht und die Neigung zum Gelde; so daß man wohl hundert Wollüstige (deren Hauptneigung die Wollust ist) gegen zehn Ehrgeizige und gegen einen Geldgeizigen (deren Hauptleidenschaft Ehrgeiz und Geldgeiz ist) unter ihm antrifft. Die Habsucht ist der Gesellschaft und der Harmonie und Glückseligkeit des Ganzen so zuwider, daß die Menschen entweder sehr elend seyn würden, oder daß ihr Geschlecht ganz untergehen müßte, gesetzt auch daß es sich durch die Zeugung fortpflanzte, wenn mehrere Geizhalse darunter vorhanden wären. Neid, Haß, Verläumdung, Verfolgung, Arglist, Betrug, Diebstahl, und endlich Mord und Blutvergießen, würden die Welt als dann zu einer Mördergrube machen, und es wäre dann erträglicher, in Wüsten, unter lauter Schlangen und Skorpionen, Löwen und Tiegern, als unter Menschen zu wohnen. Und was der Ehrgeiz für Unglück stiftet, braucht keines Beweises. Wem die Geschichten der Welt ein wenig bekannt sind, findet, daß oft der Umsturz gewaltiger Reiche, allgemeines Elend, und die Vergießung des Bluts von Millionen Menschen, durch diese Leidenschaft ist verursachet worden. Indessen ist ein kleines Uebel, allemal ein Uebel, und der übertriebene Hang zur Wollust verläugnet seine Natur eines Lasters nicht, und wirkt gleichfalls nicht wenig Böses. Nicht zu gedenken, daß es um alle Künste und Wissenschaften übel aussehen würde, wenn lauter Wollüstlinge die Erde bewohnten, die sich aus Haß gegen die Anstrengung, und aus Liebe zur Gemächlichkeit, bald um alle Gemächlichkeiten, ja gar um die Nothdürftigkeiten des Lebens bringen würden; so frage ich nur. Ist wohl jemand unglücklicher, als diejenigen, die nichts als angenehme Empfindungen, die nichts als die höchste Wollust suchen? Denn so bald ihnen angenehme Empfindungen abgehen, verfallen sie in Traurigkeit und Schwermuth. Und wie sollten sie ihnen nicht bald abgehen, da gemeiniglich heftige Vergnügungen, die die ganze Seele erschüttern, und gleichsam in jeder Nerve gefühlt werden, ihr ganzer Wunsch, unschuldige aber für sie zu matt und unschmackhaft sind? Grausame Krankheiten, Abnahme der Kräfte des Leibes und des Gemüths Verlust der Ehre, des guten Namens und des Vermögens, ja oft der Ruin ganzer Familien, sind unausbleibliche Folgen ihrer Ausschweifungen. Alsdann gehabt euch wohl, angenehme Empfindung gen. Unruhe, Angst und Verzweiflung, hat itzo euren Platz eingenommen, und die Seele des Wollüstlings überfallen, der dabey doppelt unglücklich ist, je weniger er dieser Feinde seines Glücks gewohnt war. - - Zwar leben die Menschen zum Vergnügen, denn der gütige Schöpfer hat uns aus Liebe aus dem Nichts hervorgerufen: Allein bestehet dieses Vergnügen in der Unzucht? oder darinn daß wir unsern Leib zu einem Keller und unser Leben zu einem langen Bassettspiele machen ? Sind keine unschuldigen Vergnügungen und Freuden möglich? Der Umgang mit vernünftigen Freunden ist ein weit mannigfaltiger Vergnügen, und kann uns, ohne Wein und Spiel, mit Freuden überhäufen. Und wahre Freunde werden keinem fehlen, der sie zu haben werth und selbst ein Freund zu seyn fähig ist. Ueberdem bietet uns das große Reich der Natur und der Künste tausend erlaubte Ergetzlichkeiten dar.

Sieh! uns winkt die Natur. Mit unausprechlicher Anmuth
Haucht sie Zufriedenheit aus. Sieh, wie der ruhige Himmel
Wolkenlos durch die geselligen Zweige der Linden herabsieht!
Alles jauchzt Freude, und ladet zur Lust. - -
Wieland.

Für uns düften die Blumen, für uns rauscht der sich schlängelnde Bach unter einem dunkeln Gewölbe von belaubten Bäumen fort, das von dem Gesange der Vögel erschallt. Der Felder und Auen beblümte bunte Decken prangen für uns, für uns bemalt die Sonne den östlichen Himmel mit Gold und Purpurfarbe. Alles wohin wir die Augen, worauf wir die Gedanken richten, alles füllt unser Gemüth mit Freude und Entzückung. Und was gewahren uns die Künste nicht für Vergnügen! Was für ein weites Feld angenehmer Beschäfftigungen eröffnen sie uns nicht! Wir sind ja nicht nur zum groben Gefühle der Sinne, sondern auch zum Denken und Wirken erschaffen; und nur durch Arbeitsamkeit und vernünftige Handlungen gelangen wir zu einer wahren und dauerhaften Gemüthsruhe. Der Wirksame, der Tugendhafte, kann mit Recht sagen, und es in Erfüllung bringen, was der bekannte Herzog von Orleans, Regent von Frankreich, gesagt hat:

Ich will mich stets bey jeder kleinen Gabe,
Die mir der Himmel giebt, erfreun.
Ich will den Weg, den ich zu laufen habe,
Mit Blumen mir bestreun.

* * *

Folgenden Brief, den ich vor einigen Tagen erhalten habe, kann ich nicht umhin, meinen Lesern bey dieser Gelegenheit mitzuteilen:

Mein Herr,

Da ich eben sowohl aus den Nutzen des menschlichen Geschlechts bedacht bin, als Sie; aber keine Gelegenheit habe, meine Absichten allenthalben bekannt zu machen: so ersuche ich Sie, dieses statt meiner zu verrichten. Ich habe seither durch Verfertigung gläserner Augen, weißer und rother Schminke, einfacher und doppelter Busen, dem menschlichen Geschlecht zu dienen gesucht; allein die vielen Pfuscher und Affen meiner Kunst, haben verursacht, daß ich den Preiß meiner Waaren um ein merkliches habe herunter setzen müssen. Jetzt bin ich auf eine Erfindung gefallen, davon ich nicht allein der Welt, sondern auch meinem Beutel vielen Vortheil verspreche. Ich habe in unserer Stadt manche Leute beiderley Geschlechts ohne Nasen herumwandern sehen, und daher eine Art Nasen von leichtem Holze zu verfertigen angefangen, die ich mit Drat an die Ueberbleibsel der weiland fleischernen Nase befestige, und ihr derselben Farbe gebe; so daß man schwören sollte, die alte Nase sey wieder hervorgewachsen. Daß diese Erfindung von Wichtigkeit und Nutzen sey, werden Sie selber einsehen, und daher so gütig seyn, meine Nasenfabrik durch ihre vielgeltende Empfehlung in Aufnahme zu bringen. Ein jeder wird nun doch wieder seine Nase tragen können, wie es ihm beliebt, welches seither manchem nicht möglich war, und niemand wird mehr so ekelhaft aussehen, als bisher viele. Ein gewisser Mann, den eine gewisse Wollust um seine Nase gebracht hatte, ward von einem Wollüstlinge anderer Art, von einem Säufer, dieserwegen sehr verspottet. Jetzt habe ich dem Verspotteten, um ein billiges, wieder zu seiner Ehre geholfen, und sein Spötter, dieses ungeheure Weinfaß mit Armen und Beinen, sollte viel darum schuldig seyn, wenn er ihm an gutem Ansehen gleich käme. Sagen Sie dieses alles doch der Welt, und schaffen Sie meinem Talente dadurch seine Belohnung; welches Sie zu thun schuldig find, im Fall Sie das wirklich sind, wofür Sie sich ausgeben. Sagen Sie ihr auch, daß nicht allein diejenigen, die ihre Nase verloren haben, bey mir dergleichen wieder kaufen können, sondern daß auch alle, die in Gefahr stehen sie künftig zu verlieren, sehr wohl thun würden, wenn sie sich bey Zeiten damit versorgten. Sie erhalten dadurch den Vortheil, daß ich das Modell nach ihrer jetzigen Nase nehmen kann, und daß ich nicht, statt einer ehemaligen Habichtsnase, eine Stumpfnase ansetze. Ich bin,

Mein Herr,

Ihr sehr verbundner Diener

Nicolas Postiche,

Galanteriefabrikant.

P. S. Sie wissen, daß eine übele Krankheit Gelegenheit zur Erfindung der Perüken gegeben; indessen sind sie so sehr Mode geworden, daß ich in gewissen Handelsstädten oft zu jemandes Lobe habe sagen hören. Er ist ein artiger Mensch, er trägt eine Perüke, und alles steht ihm wohl an. Wenn Sie die Sache mit Nachdruck treiben, so hoffe ich, daß, obgleich eine noch üblere Krankheit mir zu meiner Erfindung Anlaß gegeben, es doch noch mit der Zeit auch bey uns heißen soll: Er ist ein artiger Mensch, er trägt eine gefärbte Nase, und alles steht ihm wohl an.

VII.

Das Publikum ist zuweilen ziemlich undankbar gegen die Bemühung verdienstvoller Schriftsteller; und es scheint, als wenn sie nothwendig erst todt seyn müßten, ehe die Welt gesteht, daß sie schön geschrieben haben. Gewisse eingebildete Kritiker, die ihren Geschmack entweder nach dem Geschmacke einer einzigen Nation, oder auch nach einigen wenigen Lieblingsschriften ihres eignen Volks gebildet, und wenig allgemeinen Verstand haben, tadeln alles was ihnen fremd ist; und wie viel ist ihnen nicht fremd! Ihr zuversichtiges Urtheil giebt indessen andern noch kurzsichtigern den Ton, und es ist nichts seltnes, daß man auf diese Weise von Meisterstücken als von etwas Mittelmäßigem sprechen hört. Der Verfasser der vortreflichen Kriegeslieder, welcher längst als unser deutscher Anakreon und Katull bekannt gewesen, und dem es beliebt hat, sich anitzo als einen preußischen Grenadier zu zeugen, hat dieses auch erfahren, so bald er die leichtere Bahn verlassen. Da er im Namen eines Grenadiers geschrieben, hat er keine zierliche Hofsprache, sondern die Sprache eines Soldaten schreiben müssen, und dieses hat die galante Welt wider ihn aufgebracht.

Die galante Welt sey indessen so gütig und sage was Erhabneres, als was der Verfasser von dem Könige, im Lowositzischen Schlachtgesange, sagt:

Frey, wie ein Gott, von Furcht und Graus,
Voll menschlichen Gefühls,
Steht er und theilt die Rollen aus
Des großen Trauerspiels.

Dort, spricht er, siehe, Reuterey!
Hier Fußvolk! Alles steht
In großer Ordnung, schreckenfrey,
Indem die Sonn aufgeht.

So stand, als Gott der Herr erschuf,
Das Heer der Sterne da;
Gehorsam stand es seinem Ruf
In großer Ordnung da.

Und wie dieses, im Roßbachischen Schlachtgesange:

Vom sternenvollen Himmel
sahn Schwerin und Winterfeld
Bewundernd den gemachten Plan,
Gedankenvoll den Held.
Gott aber wog, bey Sternenklang,
Der beiden Heere Krieg:
Er wog, und Preußens Schale sank,
Und Oestreichs Schale stieg.

Und wie viel Hoheit herrscht nicht in dem Gedicht an die Muse, nach der Schlacht bey Zorndorf! Der feindliche Schwarm zog

- - - langsam so daher,
Wie durch fruchtbares Feld in Afrika
Giftvoller großer Schlangen Heere ziehn;
Da steht auf beiden Seiten ihres Zugs
Erstorbnes Gras, da steht, so weit umher
Als ihre Bäuche kriechen, alles todt.
Von Memel bis Küstrin stand Friedrichs Land
So da, verwüstet, öde, traurig, todt.

Man stelle sich hier ein Heer großer Schlangen vor, davon eine mit einemmal einen Menschen verschlingen kann, dergleichen es wirklich in Afrika giebt; welch ein Bild! welch ein Gleichniß! -Und wie unvergleichlich ist diese Stelle, da der große Friedrich in den Aschenhaufen Küstrins Thränen fallen läßt:

- - - Ein König weint?
Gieb ihm die Herrschaft über dich, o Welt!
Dieweil er weinen kann.

Wie fürchterlich ist diese Beschreibung:

Aus einem Strome schwarzen Mörderbluts
Trat ich, mit scheuem Fuß, auf einen Berg
Von Leichen, sahe weit um mich herum u. s. w.

Ich müßte viel abschreiben, wenn ich alles Schöne, Große und Rührende anführen wollte. Es wäre zu wünschen, daß alle unsere Dichter dem Verfasser der Kriegslieder an Naivität und Hoheit der Gedanken gleich kämen, und das Erhabne in diesem Tone und mit so simpeln Worten ausdrückten; anstatt daß viele derselben für eine gewisse poesie epithetée wie sie die Franzosen nennen, zu sehr eingenommen sind, und jedes Hauptwort an einem Beyworte, das ihm gleichsam zur Krücke dient, dahin hinken lassen. Engelland hat freylich große Geister gezeugt, Griechenland und Rom aber größere; und wir würden wohl thun und größer werden, wenn wir ehe den Griechen und Römern, als den Engelländern folgten, welche die Beywörter, die Metaphern, und überhaupt alle schimmernde Ideen zu sehr häufen, und der Natur weniger getreu sind.

VIII.

Gedanken über verschiedene Vorwürfe

Der Schmerz macht, daß wir die Freude fühlen, so wie das Böse macht, daß wir das Gute erkennen. Ist denn für uns ein Zustand von immerwährendem Vergnügen möglich, den wir immer wünschen und immer hoffen?

Diejenigen die abwechselnd Schmerz und Vergnügen fühlen, sind nicht so glücklich, als die, welche wegen vieler Geschäfte, oder vermöge ihrer Gemüthsart, beides nicht fühlen. Wie glücklich ist man in der Kindheit, da man sich noch nicht fühlt! Wie glücklich ist der Landmann, dem seine Tage über seiner Arbeit dahinstreichen!

Wäre kein Schmerz in der Welt, so würde der Tod alles aufreiben. Wenn mich eine Wunde nicht schmerzte, würde ich sie nicht heilen, und würde daran sterben.

Unter den Unglücklichen beklagt man die am wenigsten, die es durch ihre Schuld geworden sind; sie sind aber am meisten zu beklagen. Der Trost eines guten Gewissens fehlt ihnen.

Oft ertragen wir großes Unglück, und mäßigen uns in heftigem Zorn; bald darauf reißt uns ein kleiner Unglücksfall, eine geringe Beleidigung aus allen Schranken. Die Seele ist schon vorher voll von Schmerz gewesen, der nur um ein weniges vermehrt, wie ein Strom aus seinen Ufern schwillt, und die Schleusen durchbricht.

Es ist unmöglich, daß ein Mensch von gutem Charakter nicht sollte vergnügter seyn, als ein anderer, von einem schlechten Charakter. Freundschaft, Liebe und Gutthätigkeit, Mitleiden, Dankbarkeit, Großmuth, die ein gutes Gemüth wechselsweise fühlt, sind viel zu angenehme Empfindungen, als daß sie es traurig lassen sollten.

Woher kömmt es doch, daß wir ehe eine schiefe Seele ungetadelt lassen, als eine schiefe Verbeugung?

Das bloße Aufhören des Schmerzens ist die größte Wollust. Aller Schmerz ist leichter zu ertragen, als man es glaubt. Ist er zu heftig, so kann er nicht lange dauern: ist er es nicht, so kann man ihn schon aushalten, ob er gleich lange dauert.

Niemand lebt, der nicht einmal ruhig zu seyn gedenket. Auch diejenigen, die mit der größten Heftigkeit Tag und Nacht arbeiten, ihr Glück zu machen, haben diesen Vorsatz. Der Tod übereilt sie aber oft.

Je mehr Verstand jemand hat, je besser wird sein Herz seyn. Was ist ein guter Gemüthscharakter anders, als gute Begriffe von Schönheit, Tugend, Glückseligkeit? von dem was edel und groß ist, und die Harmonie der Welt befördert? Uebelgesinnt seyn, heißt übel denken.

Veränderung ist angenehm und der menschlichen Natur nothwendig, wenn sie auch zum schlimmern ist.

Wollüstige Leute haben gemeiniglich nur so viel Verstand, als sie zu ihrer Wollust gebrauchen.

Eine gewisse Art Leute, die viel Vernunft haben wollen, die sie nicht haben, und die ihrer heftigen Leidenschaften, und ihrer Laster wegen, unglücklich sind, schieben die Ursache ihres Unglücks immer auf die Vernunft. Thörichter Selbstbetrug ! Macht uns nicht die Tugend glücklich ? Und ist tugendhaft handeln und vernünftig handeln, nicht einerley?

Ich kenne einen Mann, der sich viel zu seyn glaubt, aber so wenig ist, daß er Schriften, worinn nur etwas gedacht ist, und besonders Poesien, wenn sie auch leicht sind, nicht versteht. Dieser sagte mir einmal, da jemand von der Poesie sprach, im Vertrauen ins Ohr, daß alle Poeten nicht wüßten, was sie schrieben, und daß alle diejenigen, die vorgäben, daß sie Poesien verstünden, solches aus Eitelkeit thäten. So geneigt ist man, ehe der ganzen Welt den Verstand abzusprechen, als zuzugeben, daß andere mehr sind, wie wir.

Wer verlangt, daß man ihn seines Reichthums wegen verehre, der hat auch Recht zu verlangen, daß man einen Berg verehre, der Gold in sich hat.

Wer sich viel über Undankbarkeit beschwert, ist ein Taugenichts, der niemals aus Menschlichkeit, sondern aus Eigennutz andern gedienet hat. Wenn man es für eine Schuldigkeit halt, zur Glückseligkeit der Menschen so viel man kann, beyzutragen, so wird man sich nicht darum bekümmern, was die Gutthaten für eine Wirkung aus der andern Gemüther in Absicht unser hervorbringen. Ein ehrlicher Mann kann den bloßen Gedanken nicht leiden, daß jemand gegen ihn undankbar sey.

Leute, die bey der ersten Bekanntschaft, die man mit ihnen macht, all ihr Wissen auskramen, sind gemeiniglich schlechte Gesellschafter. An eigenem Witz leiden sie gemeiniglich Mangel, und weil sie den fremden verschwendet haben, sind sie hernach Figuranten in der Gesellschaft.

Es ist eine falsche Maxime, daß man alle Verbrechen das erste mal gelinde bestrafen soll. Man bestrafe sie hart, damit die Vorstellung der Strafe stärker werde, als die Vorstellung der Lust, die das Verbrechen wirkt. Laster, die zur Gewohnheit geworden sind, sind nicht auszurotten. Späte Strafen sind wie späte Arzeneyen.

Wer zu viele Ränke macht, macht keine. Man wird sie gewahr und lacht ihren Urheber aus.

Verstellung ohne Noth, ist ein Laster und eine Niederträchtigkeit. In der Noth, wenn man sich und andere dadurch erhält oder glücklicher macht, ist sie eine Tugend.

Ein jeder scheut natürlicher Weise den Tod. Wenn ihn also ein Krieger, oder sonst jemand verachte, muß ihn die Ehre dazu treiben. Große Herzhaftigkeit, heißt große Furcht, seine Ehre zu verlieren.

Junge Leute von übler Gemüthsart sollten sich immer einem Stande widmen, der sie nöthiget, tugendhaft zu seyn. Kleon ist voller Ränke, hochmüthig, eigennützig und ein Menschenfeind. Wäre er ein Staatsbedienter geworden, hätte er alles in Verwirrung gesetzet, und tausend Unglückliche gemacht. Er ist ein Priester, dient den Menschen, und vertheidiget die Religion.

Gelehrte betrügen sich gemeiniglich am meisten im Urtheilen über Menschen. Sie sind mit ihrer Unsterblichkeit beschäftiget und geben sich nicht die Mühe, das Innere des Menschen zu untersuchen.

Der Charakter der Menschen ist ihren Gesichtern eingepräget. Alle Leidenschaften verursachen besondere Züge in dem Gesicht. Sind sie von langer Dauer, so werden die Züge unauslöschlich.

Leute von großen Talenten haben großen Verstand. Sie müssen alle Wissenschaften und Künste übersehen können, um in Einer glücklich zu seyn, wegen der Verwandschafft, worinnen sie mit einander stehen. Man wendet ein, Kajus habe ein Talent zur Musik, er sey aber von sehr eingeschränktem Verstande. Allein wie groß ist das Talent des Kajus? Setzt er? und wie setzt er? unterscheidet er die Leidenschaften genau, eine von der andern? drückt er sie gehörig aus? rühret er? Er hat so viel Talent ein Tonkünstler zu seyn, als der Affe ein Mensch zu seyn.

Nur große Geister, die den Zusammenhang der Welt, und alle Wissenschaften übersehen, sind zur Freundschaft vermögend, denn nur die können sich hochschätzen.

Alles was möglich ist, trägt sich auf der Welt, in der Folge der Zeit, endlich zu. Daher entstehen ewige Veränderungen der Reiche, der Sitten, der Künste, der Nationen. Wem von der unendlichen Menge nur die wenigen Geschichten, die uns die Zeit gegönnet hat, bekannt sind, und wer dabey den Vorwurf des Möglichen bedenkt, dem wird keine neue Begebenheit, wie seltsam sie auch ist, wunderbar scheinen.

Ein jeder hat von Natur das Maaß des Verstandes, das er haben soll. Die Erziehung kann die Verstandeskräfte, die in der Seele sind, entwickeln, aber die nicht hineinlegen, die nicht darinn sind.

Auf übermäßige Freude muß nothwendig, der menschlichen Natur nach, Traurigkeit folgen. Die Freude macht das Blut zu wallend, und dieses verursachet eine unangenehme und schmerzhafte Empfindung, welche Traurigkeit wirken muß. Wer heftiger Leidenschaften fähig ist, wird wissen, daß er mitten in starker Freude schon Mißvergnügen gefühlt habe. Eben diese Bewandniß hat es mit allen übrigen heftigen Leidenschaften. Ein Beweis, daß Tugend allein glücklich macht, die in der Mittelstraße besteht.

Freundschaft gründet sich auf Hochachtung, folglich auf Eigenschaften des Gemüths. Liebe aber auf die Eigenschaften des Körpers. Man kann gegen eine Person, die eine schöne Seele hat, viele Freundschaft hegen, aber nicht Liebe. Der Kuß, den die Königinn Margaretha von Schottland, dem gelehrten, aber übelgestalteten Alain Charrier gab, war nur eine Grimasse.

Es giebt keine unbiegsamere und härtere Menschen, als die immer mit Betrachtung ihres Unglücks beschäftiget sind.

Große Geister werden oft durch die Noth gezeugt. Die unfruchtbarsten Länder haben die größten Beherrscher. Ein Beweis ist Moses, der Czaar Peter der erste, und der König von Preußen.

Auch die größten Männer müssen Verachtung und Spott leiden, besonders von Leuten, die nicht vermögend sind, ihre Verdienste einzusehen, und die andere Begriffe und eine andere Denkungsart haben. Von niemand aber werden sie mehr verachtet, als von sich selber.

Je weniger jemand ist, je mehr Stolz wird er haben, und je geneigter wird er seyn, an andern Fehler, gute Eigenschaften aber nicht, zu bemerken.

Tugend ist eine Fertigkeit die Harmonie der Welt zu befördern. Sie ist kein leerer Name, sie macht uns allein glücklich, denn sie ist allen Ausschweifungen entgegen gesetzt. Eine Moral die in aller Munde ist, die aber leider wenig gefühlt wird ! Ein Tugendhafter kann durch nichts erschüttert werden; alles was außer ihm ist, hat keine Macht über ihn. Will das Glück, daß er herrschen soll, wird er sich dieses Zufalls bedienen, wie er muß; soll er dienen, wird er gleich groß, und beym Hirtenstabe eben so glücklich, wie beym Zepter seyn. Nur Bösewichter sind unglücklich; nur die verzweifeln bey widrigen Zufällen des Lebens.

Je tugendhafter jemand ist, desto angenehmer und leutseliger wird er im Umgange seyn.

Was unvernünftig ist, kann nicht edel, und was vernünftig ist, nicht unedel seyn.

Die meisten Schriftsteller schätzen niemand eher hoch, und halten niemand eher für ein Genie, bis er in hundert Bogen bewiesen hat, daß er ein Narr sey.

Ein Mensch von gutem Temperament, und der ohne heftige Gemütsbewegungen ist, darf sich nur leidend verhalten, um glücklich zu seyn. Die Natur bietet ihm tausend Annehmlichkeiten dar, die ihn nicht lange mißvergnügt lassen können. Aber wehe dem, der sich heftigen Leidenschaften überläßt! Er kann nicht glücklich seyn, und eine unfehlbare Verzweiflung ist endlich, über lang oder kurz, das Ende seines Unglücks. Die Schönheiten des Gebäudes der Welt sind zu sanft für ihn, als daß er sie fühlen sollte. Für ihn rieseln keine Bäche, und düften keine Blumen. Die Sonne färbt ihm keine Wolken. Für ihn ist die Schöpfung todt.

Lustige Leute begehen mehr Thorheiten, als traurige; aber traurige begehen größere.

Ein Rachgieriger lernt denjenigen bald verachten, den er hassen gelernt hat.

Es ist ein großer Trost in Widerwärtigkeiten, wenn man sich immer einige Jahre älter denkt. Wer die Welt kennet, weiß was einige Jahre für Veränderung machen.

Viele haben die Schwachheiten und Fehler großer Männer nicht an sich; das macht, sie haben den Verstand derselben gemieden.

Wer in Gesellschaft seiner Freunde immer Worte wiegt, ist selten ein wahrer Freund, und selten der Freundschaft fähig; er denkt nur immer an sich und liebt sich zu viel. Man muß groß genug seyn, sich seinen Freunden zu zeigen wie man ist. Verliert man sie, um seiner Schwachheit willen, so ist es ein glücklicher Verlust, so sind sie niemals Freunde gewesen.