Des Herrn Christian Ewald von Kleist sämtliche Werke
Berlin, bey Christian Friedrich Voß 1760
Erzählungen und Fabeln
Emire fieng ihr Leben an zu hassen,
Als ihr Agathokles leichtsinnig sie verlassen.
Sie floh die große Welt, die vormals sie verehrt,
Sie floh die Freundschaft selbst, allein in sich gekehrt.
Die Welt schien ihr nicht mehr ein Sitz voll Lust und Wonne,
Die Flur nicht blumenreich, und minder hell die Sonne.
Ein Lustschloß, in der Nacht von einem dicken Wald,
War ihre Zuflucht itzt und liebster Aufenthalt.
Sie gieng oft in des Hains Gewölben, lebensmüde,
Nicht mehr gereizt, wie sonst, von Philomelens Liede,
Noch von der Quelle, die durch Blumen floß. Nicht seyn,
Dünkt ihr das größte Glück und war ihr Wunsch allein.
Mußt ich, so dacht sie oft, Agathokles nur lieben,
Ihn ewig itzt zu scheun, mich ewig zu betrüben?
Ich glaubt' ihn so getreu, als liebenswerth. Sein Schmerz
Und seine Thränen nur erwarben ihm mein Herz;
Nicht Leichtsinn, Laster nicht! Ich liebte seine Tugend
Und seine Seele mehr, als allen Reiz der Jugend.
Doch alles was er sprach, Versicherung und Schwur,
kam aus dem Herzen nicht, kam von den Lippen nur.
Untreuer! Ich bin zwar der Raub von deinen Lügen,
Allein wirst du, wie mich, den Himmel auch betriegen?
Fürcht ihn! er strafet noch! Vielleicht fühlst du einmal,
Wenn dein Gewissen wacht, gedoppelt meine Qual. —
Doch, dieses wünsch ich nicht. Du sollst den Schmerz nicht nähren.
Nur such einmal mein Grab, und schenk ihm einge Zähren,
Und denk: Hier ruhet die, die sich um mich betrübt;
Die Treue lebte noch, hätt' sie mich nicht geliebt.
So bracht Emire hier ihr Leben lange zu;
Ihr stiller Gram schien falsch Gelassenheit und Ruh. —
Gesucht von Ehr und Gunst der Großen, hatt' indessen
An fernen Höfen sie Agathokles vergessen.
Doch endlich überfiel ihn unverhoffte Reu;
Sein wankelmüthig Herz fühlt alte Lieb und Treu;
Er kehrte schnell zurück. — Er flog nach ihrer Wohnung,
Beflügelt von der Lieb und Hoffnung der Belohnung.
Er sahe sie, und nahm die schöne Hand. - Doch wie
Erschrak er! — wie gerührt vom Wetterstrale. — Sie
War starr. — Verzeuch, rief er, nur einge Augenblicke!
Emire, höre mich, und ruf den Geist zurücke!
Verzeuch! Dich und mein Glück hab ich nicht halb gekannt,
Nicht Untreu, Irrthum nur, hat mich von dir verbannt.
Mein Herz hätt' alles Gold der Welt, Glück, Ehr und Leben,
Als klein, für den Besitz von dir, dahin gegeben.
0 schöne Unschuld, sieh mich nur noch einmal an,
Und sage mir, daß mich dein Herz nicht hassen kann ! —
Sie hatte schön den Geist dem Himmel zugeschickt,
Empfieng der Treue Lohn, und war bereits beglückt.
Er fiel erstarrt dahin, vor Schrecken und vor Leide,
Das Leben kam zurück, doch ohne Ruh und Freude.
Und seine Klagen hat die Gegend lang gehört.
Durch alles was er sah, ward seine Pein gemehrt.
Die Stellen wo sie gieng und schlief, wo sie gesessen.
Und wo sie starb, konnt er nicht sehn, und nicht vergessen,
Ihr Schloß, sonst seine Lust, in Blüthen ganz versteckt,
Dünkt ihn anitzo schwarz, er ward dadurch erschreckt.
Der Tod schien ihm ein Glück, das Leben eine Strafe,
Und Schwermuth foltert' ihn sogar im kurzen Schlafe;
Bis sein bekriegter Fürst zum Heer ihn gehen hieß,
Und Fried und Ruh durch ihn den Völkern schenken ließ.
Doch weint' er jährlich um ihr Grab an diesem Tage,
Und sein ganz Leben war nur Eine lange Klage.
An Herrn Gleim
Leander und Selin, zween Freunde, die
Verstand und Edelmuth und gleicher Trieb
Zur Tugend, fest verband, vertrauten sich
Einst in Geschäfften dem treulosen Meer.
Die Winde wehten erst der Gegend zu,
Die schon die Reisenden im Geiste sahn;
Das Ufer floh, und bald erblickten sie
Rings um nur Luft und See. Das Firmament
War heiter und voll Glanz. Sie segelten
In seinem Wiederschein geruhig fort,
Und nahten sich bereits der Reise Ziel,
Als schnell die Wellen sich empöreten.
Ein reißender Orkan erwacht', und schlug
Das Schiff von seiner Bahn. Es scheiterte
Am Felsen. Jeder sucht den Tod zu fliehn;
Das kleinste Stück vom Schiff wird itzt sein Schiff -
Den beiden Freunden ward ein Brett zu Theil;
Allein es war zu leicht für seine Last.
Wir sinken! sprach Selin; das Brett erträgt
Uns beide nicht! O Freund, leb ewig wohl!
Du mußt erhalten seyn, an dir verliert
Das Wohl der Welt zu viel, und ohne dich
Wär mir das Leben doch nur eine Qual.
Nein, sprach Leander, nein, ich sterb, o Freund ! -
Allein Selin verließ zu schnell das Brett,
Und übergab getrost dem nassen Grab
Der Wasserwogen sich. Die Vorsehung,
Die über alles wacht, sah seine Treu
Und seine Großmuth an, und ließ das Meer
Ihm nicht zum Grabe seyn. Mitleidig trugs
Auf seinen Wellen ihn zum Ufer hin.
Er fand Leandern schon daselbst. — O wer
Beschreibt die Regungen der Freude, die
Sie beide fühlten!— Sie umarmten sich
Mit Zähren in dem Aug. Leander sprach:
O allzutreuer Freund, in was für Qual
Hat deine Freundschaft mich gestürzt! Ich hab
Um dich des Todes Angst zehnfach gefühlt.
Was du thatst wollt ich thun; denn ohne dich
Wünscht ich das Leben nicht. — Geliebtester,
Was war ich ohne dich? versetzt Selin.
Der Himmel sey gelobt, der dich mir schenkt!
Komm laß uns ihn, der uns vom Tod befreyt,
Verehren und ihm ganz das Leben weihn.
Sie knieten weinend an das Ufer hin
Und dankten dem, der sie errettete;
Und ihre Regung drang die Wolken durch. —
Leander theilte mit Selin, der arm
An Gütern, und nur reich an Tugend war,
All seine Schätze, die Selin nur nahm,
Weil sich sein Freund dadurch glückseelig pries.
Und Segen kam auf sie und auf ihr Haus;
Und lange waren sie das Wohl der Welt.
Auf einer langen Reis' Arists, war stets
Die Sonn in Dunst versteckt. Oft heulte Sturm
In der durchwühlten Luft, oft, wenn er schwieg,
Fiel schnell ein Wolkenbruch mit wildem Lärm
Zur bangen Erd herab. Die Seel Arists
War finster, wie die Luft. Er hofft umsonst
Die Sonne wiederum am Firmament
Zu sehen, die daraus verschwunden schien,
Und klagt voll Ungeduld den Himmel an,
Der bald die Welt verbrennt und bald ersauft. —
Schnell fuhr ein Pfeil vor ihm ins Erdreich. — Thor!
Um was beschwerst du dich ? rief eine Stimm
Vom Himmel. Dieser Pfeil hätt' dich erreicht,
Wär nicht die Sehne durch den Regen schlaff
Geworden. Tadle nicht, so kühn als schwach,
Die Einrichtung der Welt! Was willst du doch
Mit Maulwurfsaugen durch den Himmel sehn!
Den du in Stürmen hörst, und über dir
In Blitz gehüllet siehst, der sorgt für dich!
*) Diese Erfindung des vortrefflichen Hrn. P. Gellerts hat mir so ausnehmend gefallen, daß ich es gewagt habe, sie auch nach meiner Art einzukleiden.
Der Herbst entlaubte schon den bunten Hain,
Und streut aus kalter Luft Reif auf die Flur,
Als am Gestad ein Heer von Kranichen
Zusammenkam, um in ein wirthbar Land,
Jenseit des Meers, zu ziehn. Ein Kranich, den
Des Jägers Pfeil am Fuß getroffen, saß
Allein, betrübt und stumm, und mehrte nicht
Das wilde Lustgeschrey der Schwärmenden,
Und war der laute Spott der frohen Schaar.
Ich bin durch meine Schuld nicht lahm, dacht er.
In sich gekehrt, ich half so viel als ihr,
Zum Wohl von unserm Staat. Mich trifft mit Recht
Spott und Verachtung nicht. Nur ach! wie wirds
Mir auf der Reis' ergehn! Mir, dem der Schmerz
Muth und Vermögen raubt zum weiten Flug!
Ich Unglückseeliger! das Wasser wird
Bald mein gewisses Grab. — Warum erschoß
Der Grausame mich nicht? - Indessen weht
Gewogner Wind vom Land ins Meer. Die Schaar
Beginnt, geordnet, itzt die Reis' und eilt
Mit schnellen Flügeln fort, und schreyt vor Lust.
Der Kranke nur blieb weit zurück, und ruht
Auf Lotosblättern oft, womit die See
Bestreuet war, und seufzt vor Gram und Schmerz. —
Nach vielem Ruhn, sah er das beßre Land,
Den gütgern Himmel, der ihn plötzlich heilt.
Die Vorsicht leitet ihn beglückt dahin,
Und vielen Spöttern ward die Flut zum Grab.
Ihr, die die schwere Hand des Unglücks drückt,
Ihr Redlichen, die ihr mit Harm erfüllt,
Das Leben oft verwünscht, verzaget nicht,
Und wagt die Reise durch das Leben nur!
Jenseit des Ufers giebts ein besser Land;
Gefilde voller Lust erwarten euch!