Des Herrn Christian Ewald von Kleist sämtliche Werke

Berlin, bey Christian Friedrich Voß 1760

Vorbericht

Derjenige müßte ein gänzlicher Fremdling in der deutschen Litteratur seyn, dem der Name des Herrn von Kleist, und der größte Theil von gegenwärtigen Schriften unbekannt wäre. In der Ordnung, mit den Verbesserungen und Vermehrungen, wie sie das Publikum itzt erhält, hatte sie ihr Verfasser, schon vor länger als zwey Jahren, dem Drucke bestimmt, und sie in dieser Absicht den Händen seiner Freunde überliefert. Indem sich aber die Ausgabe verzog, weil die äußere Ausschmückung dem innern Werthe einigermaßen gemäß seyn sollte: starb er den Tod der Helden; und was bestimmt war, nur eine vollständige Sammlung seiner bisherigen Ausarbeitungen zu seyn, ward, zum Leidwesen aller Freunde der Dichtkunst, die Sammlung seiner sämtlichen Werke. Unter diejenigen Stücke, die am letzten aus seiner Feder gekommen sind, gehören die prosaischen Aufsätze, welche sich am Ende des zweyten Theiles finden, und die nicht so wohl für vollendete Blätter, als vielmehr für Entwürfe und Anlagen zu Blättern einer moralischen Wochenschrift zu halten sind, an welcher der Herr von Kleist einst in ruhigern Tagen, unter dem Titel des Neuen Aufsehers, mit seinen Freunden zu arbeiten hoffte. Einige kleine Veränderungen erhielten die Herausgeber von ihm, da es mit dem Drucke schon zu weit gekommen war, als daß sie noch an den gehörigen Stellen hätten eingeschaltet werden können. Man wird aber in einer andern kleinern Ausgabe dieser sämtlichen Werke, welche mehr sauber als prächtig ausfallen soll, und bereits unter der Presse ist, Gebrauch davon machen.

Eine kurze Nachricht von dem Leben des Verfassers wird hier an ihrem Orte stehen. Sie ist aus dem bekannten Ehrengedächtnisse gezogen.

 

Ewald Christian von Kleist ward in Pommern, zu Zeblin, ohnweit Kößlin, im Jahr 1715 den 5. März geboren. Seine Mutter stammt aus dem Manteufelischen Geschlechte her, welches dem Kleistischen an Ruhm und Verdiensten gleich ist. Im neunten Jahre seines Alters ward er in die Jesuiterschule zu Kron in Großpohlen gegeben, und im funfzehnten Jahre in das Gymnasium zu Danzig. Im siebzehnten bezog er die Universität zu Königsberg und studierte daselbst mit ungemeinem Eifer die Rechte, die Philosophie und die Mathematik. Nach Vollendung seiner Studien that er eine Reise zu seinen Anverwandten nach Dännemark. Er ward von ihnen gebeten, sich in diesem Lande niederzulassen. Als er aber mit seinen Wissenschaften, mit seinem Verstande und mit seinem redlichen Charakter sich ein gelehrtes Amt zu erwerben, einige mal vergeblich versucht hatte, beredeten ihn seine Anverwandten, die Generale Staffelt und Folckersahm, in Kriegesdienste zu treten. Er that es, und ward im 21ten Jahre seines Alters Officier unter der Dänischen Armee. Er studierte jetzt die Wissenschaften, die zum Gebiete der Kriegeskunst gehören, mit eben solchem Eifer, wie vormals die Rechte. Im Jahr 1740, beym Antritt der Regierung des glorwürdigsten Königs Friederichs, gieng er nach Berlin, und ließ sich dem Könige vorstellen, welcher ihn bey dem Regimente des Königlichen Bruders, des Prinzen Heinrichs, als Lieutenant setzte. Er wohnte den Feldzügen bey, die die fünf ersten Jahre der Regierung des Preußischen Monarchen verewigen. Hier verglich er die erlernten Grundsätze der Kriegeskunst mit der Erfahrung im Felde, und suchte sich die Wissenschaft eines vollkommenen Kapitäns zu erwerben.

Im Jahr 1749 erhielt er die Stelle eines Hauptmanns. In diesem Jahre kam sein Gedicht der Frühling heraus, wozu er die Ideen auf seinen einsamen Spaziergängen, die er seine poetische Bilderjagd zu nennen pflegte, gesammelt hatte, und welches er in den folgenden Jahren mit verschiedenen kleinern Gedichten vermehrte. Vor dem Ausbruche des Krieges erwählte ihn der König nebst einigen andern Officieren in Potsdam zu einem Gesellschafter an der Tafel des jungen Prinzen Friedrich Wilhelms. Im ersten Jahre des Feldzuges 1756 ward er zum Oberstwachtmeister bey dem Regimente des Generals von Hausen ernannt. Dieses Regiment ward zur Besatzung nach Leipzig verlegt. In dieser ruhigen Zeit arbeitete er verschiedene neue Gedichte aus, welche bereits im Drucke erschienen sind, und die er im Jahre 1758 verbessert an seine Freunde nach Berlin übersandte.

Nach der Schacht bey Roßbach vertraute ihm der König, vermittelst eines eigenhändigen Befehls, die Aufsicht über das zu Leipzig angelegte große Lazareth. Sein menschenfreundlicher Charakter ist bey dieser Gelegenheit von den Kranken und Verwundeten beider Partheyen, und sein uneigennütziges Betragen von allen Einwohnern der Stadt einhellig gerühmt worden.

Im Februar 1758 mußte er mit einigen Truppen nach Zerbst marschiren, um den Marquis de Fraignes in Verhaft zu nehmen. Unmittelbar darauf ward er nach Bernburg auf Exekution gesandt. Wie viele Liebe ihm die Ausführung dieser beiden an sich selbst gehäßigen Geschäfte erworben hat, kann man aus dem Munde dererjenigen vernehmen, wider welche sie unternommen wurden.

Den Feldzug des 1758ten Jahres that er bey dem Heere des Prinzen Heinrichs, den er in Leipzig ersucht hatte, das Hausensche Regiment zur Armee zu ziehen. Die Gelegenheiten sich hervorzuthun konnten ihm hier niemals fehlen, und er theilte allemal seinen Muth dem Bataillon mit, welches er kommandirte. Als sich gegen das Ende des Feldzuges die österreichische Macht gegen Dresden zog, und die preußische Armee durch die Stadt marschierte, hatte das Hausensche Regiment, nebst noch einem andern, die Arriergarde, und dabey in dem Plauenschen Grunde die Kanonade der ganzen österreichischen Artillerie einige Stunden lang auszuhalten. Der Herr von Kleist trug dazumal sehr viel zur Behauptung dieses gefährlichen und wichtigen Postens bey, wodurch die ganze österreichische Armee aufgehalten wurde.

Im Anfange des folgenden Feldzuges 1759 gieng er mit der Armee des Prinzen Heinrichs nach Franken, und wohnete den übrigen Verrichtungen dieser Armee bey, bis er mit dem Corps des Generals von Fink zum Heere des Königes wider die Russen abgeschickt wurde. Den zwölften August geschahe die blutige Schlacht bey Kunersdorf, wo ihm sein Wunsch, den edeln Tod fürs Vaterland zu sterben, gewähret werden sollte.

Leute, die den Herrn von Kleist den Tag vor der Schlacht und selbst den zwölften Vormittags, als die Armee dem Feinde entgegen marschierte, gesprochen haben, bezeugen, daß er außerordentlich vergnügt und aufgeräumt gewesen sey. Er hatte sein Leben niemals ängstlich geliebt, und liebte es nie weniger als jetzt, da er unter Friedrichs Augen zu siegen oder zu sterben die Wahl hatte. Er griff, unter der Anführung des Generals von Fink die Russische Flanke an. Er hatte mit seinem Bataillon bereits drey Batterieen erobern helfen, er hatte dabey zwölf starke Kontusionen empfangen, und war in die beiden ersten Finger der rechten Hand verwundet worden, so daß er den Degen in der linken Hand halten muste. Sein Posten als Major verband ihn eigentlich hinter der Fronte zu bleiben, aber er bedachte sich nicht einen Augenblick vorzureiten, als er den verwundeten Commandeur des Bataillons nicht mehr erblickte. Er führte sein Bataillon unter einem entsetzlichen Kanonenfeuer von Seiten der Feinde gegen die vierte Batterie an. Er rief die Fahnen seines Regiments zu sich, und nahm selbst einen Fahnenjunger beym Arm. Er ward wieder durch eine Kugel in den linken Arm verwundet, so daß er den Degen nicht mehr mit der linken Hand halten konnte, er faßte ihn also wieder in die verwundete rechte Hand mit den beiden letzten Fingern und dem Daumen; er drang weiter, und war nur noch dreißig Schritte weit von dieser letzten Batterie, als ihm durch einen Kartetschenschuß das rechte Bein zerschmettert wurde. Er fiel vom Pferde, und rief seinen Leuten zu: Kinder, verlaßt euren König nicht!

Er suchte mit anderer Beyhülfe zweymal wieder zu Pferde zu steigen; allein seine Kräfte verliessen ihn, und er fiel in Ohnmacht. Zwey Soldaten von seinem Regimente, und einer von dem Regimente des Prinzen Heinrichs, von seiner vorigen Kompagnie, den die Liebe zu seinem alten Hauptmann herbey gezogen hatte, trugen ihn hinter die Fronte. Ein Feldscheerer war eben beschäftiget die Wunde zu verbinden, als er in den Kopf geschossen wurde. Der Herr von Kleist machte eine Bewegung, seinem verwundeten Ärzte zu helfen; umsonst, dieser fiel entseelt bey ihm nieder.

Bald darauf kamen Kosacken, zogen ihn nackend aus, warfen ihn an einen Sumpf, und liessen ihn liegen. Von der starken Bewegung ermüdet entschlummerte er hier, eben so ruhig, als ob er in seinem Zelte gelegen hätte.

In der Nacht fanden ihn einige Russische Husaren, zogen ihn aufs Trockene, legten ihn bey ihrem Wachtfeuer auf etwas Stroh, bedeckten ihn mit einem Mantel und setzten ihm einen Hut auf. Sie gaben ihm auch Brodt und Wasser. Einer von ihnen wollte ihm ein Achtgroschenstück geben, als es aber der Verwundete verbat, warf es der Husar mit einem edeln Unwillen auf den Mantel, womit er ihn bedeckt hatte, und ritte mit seinen Gefährten davon. Die Kosacken kamen am Morgen wieder und nahmen ihm alles, was ihm die gutherzigen Husaren gegeben hatten. Er lag also wiederum nackend auf der Erde; bis gegen Mittag ein Russischer Officier vorbeygieng, dem er sich zu erkennen gab, und der ihn auf einen Wagen legen und nach Frankfurt an der Oder bringen ließ. Daselbst kam er gegen Abend in der äußersten Entkräftung an, und ward ordentlich verbunden.

Er war bey allen Schmerzen, die ihm der Verband verursachte, sehr geruhig. Er las öfters, und sprach mit den Frankfurtischen Gelehrten und mit den Russischen Officieren, die ihn besuchten, mit großer Munterkeit. In der Nacht vom 22 zum 23ten sonderten sich die zerschmetterten Knochen von einander ab, und zerrissen eine Pulsader. Er verblutete sich stark, ehe der Wundarzt dazu kommen und das Blut stillen konnte. Hierauf ward er zusehends schwächer. Der heftige Schmerz verursachte ihm sogar einige convulsivische Bewegungen. Doch behielt er den völligen Verstand, und starb mit der Standhaftigkeit eines Kriegers und eines tugendhaften Mannes den 24ten August früh um 2 Uhr, unter dem Gebete des Herrn Prof. Nikolai, der ihm die Augen zudrückte.

Man begrub den erblaßten Held den 26 August in der unter feindlicher Botmäßigkeit stehenden Stadt Frankfurt mit allen möglichen Ehrenbezeugungen, wozu der damalige Russische Kommendant, der Oberste von Schettnow, und der Platzmajor von Stackelberg auf alle Art hülfliche Hand leisteten. Der Herr Prof. Nikolai hielt ihm die Trauerrede, vor und nach welcher eine Trauermusik aufgeführt wurde. Der Leiche, welche von zwölf Grenadiers a Cheval getragen wurde, folgte der Kommendant, und eine große Anzahl Russischer Officiere; hierauf folgten die Professoren und verschiedene Mitglieder des Magistrats; die Studiosi machten den Beschluß. Als man bey der Beerdigung keinen Offizierdegen bekommen konnte, um ihn gewöhnlichermaßen auf den Sarg zu legen, nahm ein Russischer Stabsofficier seinen eigenen Degen von der Seite, und gab ihn dazu her. Nein, setzte er hinzu, ein so würdiger Officier muß nicht ohne dieses Ehrenzeichen begraben werden. So starb Kleist, im Leben geliebt von jedem, der ihn kannte; und im Tode selbst von den Feinden geehrt. Der König und das Vaterland haben an ihm einen tapfern und erfahrnen Officier, Deutschland einen vortreflichen Dichter, und seine Freunde einen Freund verloren, dessen Verlust sie nie genug beweinen können.