Anhang zum Brief von Ewald Christian von Kleist an Gleim vom 25. Januar 1757
Sie wollen meinen Lebenslauf wissen; hier ist noch Platz genug zu demselben: Ich heiße Ewald Christian und bin 1715 den 7. März zu Zeblin in Pommern, 3 Meilen von Köslin, geboren. Mein Vater hatte nicht gedient; meine Mutter war eine Manteuffeln aus Poplow in Polen, eine Schwester des noch lebenden Obristen dieses Namens, der das Regiment in Preußen hat, und eine Cousine des Generals v. Manteuffel, der das Regiment in Köslin hat. Mein Großvater war Major in dänischen Diensten, und meine Großmutter heirathete nach seinem Tode einen General von Zepelin in denselben Diensten. Eine Tochter aus dieser Ehe, meines Vaters Halbschwester, heirathete in Dänemark einen General v. Folckersham und lebt noch, und eine rechte Schwester von meinem Vater einen General-Lieut. von Staffelt daselbst. Diese Umstände merke ich nur darum an, weil sie machten, daß ich anfänglich in dänische Dienste kam; sonsten mag ich mit meiner Anverwandtschaft nicht paradiren. Ich hatte bis zu meinem 9. Jahr Hofmeisters zu Hause. Nachher ward ich zu den Jesuiten nach Cron in Groß-Polen in die Schule geschickt, 1729 kam ich auf das Gymnasium nach Danzig, 1731 nach Königsberg auf die Universität. Daselbst habe ich bei Kuntzen und Jesken die Philosophie und bei M. Ammon die Mathematique gehört, Jura hörte ich bei v. Gregorovius. Ich habe daselbst unter dem Praes. des Prof. Christiani einmal disputirt - die Materie war: de pugna adpetitus et aversat: rat: cum adpetitu et aversatione sensitiva - und sehr oft publice opponirt. 1736 wurde ich Officier in Dänemark, auf Zureden meiner Freunde und [meines] Bruders, weil ich nicht sogleich eine Civil-Bedienung erhalten konnte und keine Mittel hatte, lange was abzuwarten, und weil mir der Umgang der dänischen Officiers, die mehrentheils artige Leute sind, sehr gefiel. 1740 ward ich vom jetzigen Könige in Preußen reclamirt. 1749 ward ich Capitaine etc. 1744 habe ich die Campagne gethan etc.
(Sauers Kleist-Ausgabe 2, 369)
Auszug aus dem Brief von Ewald Christian von Kleist an Gleim vom 18. Februar 1757
Mein Lebenslauf ist lang genug, und Sie werden ihn nicht sehr verlängern können, oder Sie werden sehr dichten müssen. Meine Reise nach Polen geschah auf diese Weise: Ich ward 1738 aus Dänemark nach Danzig auf Werbung commandirt. Nach vollendeter Werbung nahm ich Urlaub, nach Hause zu gehen, weil ich 10 Meilen von Danzig ein Gut Namens Ruschitz habe. Bei dieser Gelegenheit besuchte ich meine Anverwandten und unter andern 2 Schwestern, die in Polnisch-Preußen wohnen. Ich besuchte auch mit diesen eine Anverwandtin von mir, eine Frau von der Goltz, die in der Gegend wohnte, und verkuppelte mich mit ihrer Tochter, der in herzbrechendem Ton besungenen Wilhelmine. Meine Schwiegermutter, die dieses vielleicht als ein Spiel der Jugend ansah, aber mir doch gut war und vielleicht glaubte, daß ich noch Fortune machen könnte, wollte, daß ich in Polen oder Sachsen bliebe, und schickte mich mit einem ihrer Söhne nebst einem Haufen Recommandationen an ihren Schwiegersohn, einen gewissen Gryszczynski, der Kammerherr und ein Kriegsrath in Dresden war, wie auch mit Recommandationen an einen gewissen Bischof Grabowski nach Fraustadt, wo eben der ganze sächsische Hof wegen des Senatus cons. sich aufhielt. Ich kam aber unverrichteter Sache zurück und mußte in dänischen Diensten bleiben, bis ich in preußische kam. Ich hielt mich damals sehr unglücklich, daß ich meine Wilhelmine, die wirklich sehr schön war, viel Verstand und Erziehung hatte, nicht bekommen konnte; jetzo aber, da ich alt werde, sehe ich dergleichen Dinge für Kindereien an und freue mich, daß ich ledig bin, und möchte Mordgeschichte auf mich schreiben, wie Sie auf dergleichen Helden geschrieben haben. NB. Dieser Umstand muß auch in meinem Leben wegbleiben. Man muß glauben, daß die Doris erdichtet ist. Sie müssen mir nicht übel nehmen, daß ich in meinem Lebenslaufe einige meiner Anverwandten genannt habe, und dieses ist, wenn Sie einmal nach meinem Tode etwan in der Vorrede zu meinen Kleinigkeiten an mein Leben gedenken sollten, nicht nöthig, wiederholt zu werden. Ich schäme mich zu sehr, damit Parade machen zu wollen, ob ich es gleich viel mehr könnte als 100 Andere von — —; denn ich habe wirklich ganz canailleuse viele vornehme Anverwandte von väterlicher und mütterlicher Seite. Aber wenn ich ein Bauernsohn wäre wie Hagedorn's Bauernsohn und mehr Verdienst hätte, als ich habe, denn würde ich tentirt sein, meine ganze Anverwandtschaft bis auf den Kuhhirten zu detailliren, A propos, vergessen Sie doch in meinem Lebenslauf beileibe nicht zu erwähnen, daß ich 1743 in Potsdam mein größtes Glück erlebt habe, das mir hat begegnen können, nämlich Sie, meinen Allerliebsten, kennen zu lernen. Ich wäre wahrhaftig ohne Sie der unglücklichste Mensch gewesen, den jemals die Erde getragen hat. Ihre Freundschaft, die ich mit der ganzen Welt nicht vertauschen wollte, erleichtert mir Alles.
(Sauers Kleist-Ausgabe 2, 374)
Ewald von Kleist in dänischen Diensten
Louis Bobé, Kopenhagen
Da über Kleists Lebenslauf in Dänemark sehr sparsame
Nachrichten erhalten sind, so mögen die folgenden Mittheilungen der Beachtung
werth sein, obwohl sie nur der äusserlichen Biographie dienen. Sie sind
entnommen aus den sog. 'Referierten Sachen' der dänischen Kriegskanzlei,
aufbewahrt im dänischen Reichsarchiv.
Kleists Oheim, Friedrich Wolldemar von Fölckersam (s. Sauers Kleist-Ausgabe
1,XVI. 2, 370), wendet sich an den König mit folgendem Gesuche:
Ewer Königliche Majestät geruhen Allergnädigst zu vernehmen, welcher Gestalt meiner Frauen Bruder Sohn Ewald Christian von Kleist beynahe Ein Jahr bey des Capitaine Schestedts Compagnie des mir Allergnädigst anbetrauten Regiments gedienet, und während er solcher Zeit sich nicht nur fleissig appliciret, sondern auch sich allemahl gut und wohl verhalten, anjetzo aber das Malheur hat, dass ihm sein Vater, der ihn studiren lassen und sonst viel an ihn gewandt, abgestorben. Wann nun derselbe wegen sothanen Trauer-Falls gemüssiget ist, nach Hause zu reisen, um mit seinen übrigen Geschwistern die Erbtheilung des väterlichen Nachlasses vorzunehmen, und doch nicht gerne sonder Caractere von Officier die Reise thun mögte: So flehe Ewer Königlichen Majestät ich hiedurch allerunterthänigst an, mir die hohe Gnade wiederfahren zu lassen und dem ermeldten von Kleist den Caractere als Fähndrich reformé im Regiment Allergnädigst beyzulegen, und im Fall Ewer Königliche Majestät mir diese meine allerunterthänigste Bitte in Gnaden gewähren wollten, demselben einen Reise-Pass nach seiner Heymath in Preussisch- Pommern, wie auch nach Dantzig, Allergnädigst zu ertheilen. Ich lebe der allerunterthänigsten Hoffnung, Ewer Königliche Majestät werden meiner alten SchwiegerMutter, welche durch den schmertzlichen Verlust dieses ihres eintzigen Sohnes gar sehr gerühret worden, die hohe Gnade angedeyen lassen, und zu ihrem Trost und Erquickung, den allerunterthänigst gebethenen Caractere dem gedachten ihrem Enkel allergnädigst schencken. Für welche besondere Königliche Gnade ich Lebenslang in allerunterthänigster Devotion verharren werde
Ewer Königlichen Majestät
allerunterthänigster
und treu gehorsambster
Knecht
Friedrich Wolldemar von Fölckersam.
Citadelle Friderichshafen,
den 23sten Aprilis, anno 1737.
Die Bitte hatte Erfolg. Den 29. April erhielt Kleist die
königliche Ernennung zum Fähnrich reformé im seeländischen geworbenen
Infanterieregiment.
Unterm 30. Januar 1738 verwendet der General Fölckersam sich wiederum für seinen
jungen Schützling und Verwandten beim König. Er empfiehlt 'den Fähndrich Reformé
Ewald Christian von Kleist, so ein Mensch von sehr guten Studiis ist, und eine
Zeit hero dem Regiment in der Dantziger Werbung schon gute Dienste gethan hat,
zum würcklichen Fähndrich bey der Leib - Compagnie zu avanciren'. Demgemäss
wurde Kleist am 10. Februar zum wirklichen Fähnrich befördert.
Den 8. Juni 1739 empfiehlt der General 'den ältesten, bey der Leib - Compagnie
stehenden Fähndrich Ewald Christian von Kleisten, zum würcklicben
Second-Lieutenant bey des Capitaine Arnoldts Compagnie, .... weil gedachter
Kleist den Sommer über jederzeit in Dantzig auf Werbung lieget, die Leib -
Compagnie aber, in Abwesenheit des Capitaine -Lieutenants eines Lieutenants
nicht entbehren kann'. Kleist erhielt diese Charge durch kgl. Patent vom 19.
Juni.
Den 3. Februar 1741 reichte Fölckersam ein Gesuch um
Dienstentlassung für E. C. v. Kleist ein:
Aller Durchlauchtigster, Grossmächtigster
Erb-König!
Allergnädigster König und Herr!
Ewer Königlichen Majestät habe hiemit in allertiefster Soumission vorstellen
sollen, wie der Second-Lieutenant Ewald Christian von Kleist mir berichtet, dass
er von Ihro Königlichen Majestät in Preussen Befehl erhalten, unter Dero
Trouppen Dienste zu nehmen, und er dahero, weilen er ein Landes-Kind, sich
gemüssiget sehe, um seinen Abschied geziemend anzuhalten, mit Bitte, ihm dabey
den Caractere als Premier-Lieutenant auszuwürcken. Wann nun Allergnädigster
König und Herr, beregter Kleist, so lange er bey dem mir Allergnädigst
anbetrauten Regiment gestanden, sich allemahl wohl aufgeführet, und einige Jahre
her in der Werbung zu Dantzig dem Regiment gute Dienste gethan hat, anjetzo
aber, da ein Vasall und Landsass in Hinter-Pommern, schuldig ist, seines
Landes-Herrn hohen Befehl in aller Untertänigkeit zu gehorsamen: So kann nicht
umhin, Ewer Königlichen Majestät hiedurch allerunterthänigst zu ersuchen,
ermeldtem Kleist die hohe Gnade angedeyen zu lassen, und ihm den gebethenen
Abschied, als Premier-Lieutenant, zur Vergeltung seiner allerunterthänigst treu
geleisteten, absonderlich in der Werbung bewiesenen guten Dienste allergnädigst
zu ertheilen.
Ewer Königlichen Majestät
allerunterthänigster undt gehorsamster
Knecht
Friederich Wolldemar v. Fölckersam.
Copenhagen, den 3ten Februarii 1741.
Das Gesuch wurde unterm 13. Februar 1741 vom König bewilligt.
(Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte, 3. Band, Weimar 1890, S. 295)