Die v. Kleist auf Wendisch-Tychow

Es war die Zeit, als deutsche Siedler aus dem Reich nach Pommern zogen, deutsche Grundherren, Bürger und Priester, um dort zu siedeln und das Christentum zu verbreiten. Herzog Barnim I. vereinte zwar den größeren Teil von Pommern endlich in einer Hand, mußte aber die Lehnshoheit der Askanier in Brandenburg anerkennen. Aus dieser Zeit - 1250 - stammt die erste Urkunde, in der der Name Kleist genannt wird: zwei Brüder Bertold und Konrad v. Kleist hielten sich am Hofe Herzog Barnim I. in Stettin auf. Sie kamen wahrscheinlich aus dem reichsdeutschen Westen; Glieder ihrer Familie tauchen nach und nach immer weiter östlich auf und werden dort seßhaft. Von dem Ort Wendisch-Tychow hören wir zuerst aus dem Jahre 1229, Herzog Barnim I. bestätigte in diesem Jahre dem Johanniterorden den Besitz von Wendisch-Tychow, gleichzeitig mit anderen Orten in den Kreisen Rummelsburg, Stolp und Stargard. Der Johanniterorden erbaute 1282/84 die erste Kirche in Wendisch-Tychow. Einige Felssteinmauerreste hiervon waren in der späteren gotischen Backsteinkirche zu finden. Von den Kleist der frühen Zeit hatte sich der Kanzler Jürgen v. Kleist aus der Tychow-Dubberower Linie im Dienste von Bogislav X. um diesen und um Pommern sehr verdient gemacht. 1506 schloß der Herzog mit Jürgen v. Kleist einen Tauschvertrag ab, nach welchem er ihm Wendisch-Tychow und verschiedene Dörfer der Nachbarschaft überlassen wollte. Da der Kanzler aber schon 1508 starb, kam dieser Tausch erst im Jahre 1509 mit seiner Witwe Anna, geborene v. Stojentin und seinem einzigen, damals noch unmündigen Sohn zustande. Seither ist Wendisch-Tychow bis 1945 in der Hand des Zweiges der Tychow-Dubberower Linie der Familie v. Kleist gewesen. Des Kanzlers Sohn Jacob starb ohne Erben, sodaß Wendisch-Tychow, das in Urkunden in Unterscheidung zu Groß-Tychow, Kreis Belgard, zeitweise auch „Lüttken Tychow" genannt wurde, in die Hände seiner Vettern und Neffen kam. Große Aufregung mag Georg v. Kleist hervorgerufen haben, der als sächsischer Oberst am Kriege Venedigs gegen die Türken teilgenommen hatte und als Beute eine junge Türkin mit einem achtjährigen Knaben mitbrachte. Die junge Frau wurde in Schlawe an einen Barbier verheiratet, der Türkenjunge 1689 unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und mit Beistand verschiedener hochedler Paten in der Kirche in Wendisch-Tychow getauft.

Als im Jahre 1770 Ewald Heinrich v. Kleist (1742-1802) seinem kinderlosen Lehnsvetter, dem Generalmajor Ewald Georg v. Kleist auf Wendisch-Tychow folgte, konnte das Gut nunmehr ohne Unterbrechung bis 1945 immer vom Vater auf den Sohn vererbt werden. Ewald Heinrich v. Kleist, der zunächst Offizier gewesen war, widmete sich mit großem Eifer der Bewirtschaftung und Verbesserung des landwirtschaftlichen Betriebes, wozu ihm u. a. auch Meliorationsgelder von Friedrich dem Grossen bewilligt wurden. Zwei Vorwerke wurden unter ihm gegründet. Ein Mann von besonderem wirtschaftlichem Können war sein Sohn Eduard Erdmann Heinrich v. Kleist (1789-1856), der erste Präsident der pommerschen „Ökonomischen Gesellschaft", der späteren Landwirtschaftskammer. Er begründete in Pommern die Merino-Schafzucht. Die in Wendisch-Tychow anfallende Wolle wurde auf einem langen Planwagen zum Wollmarkt nach Berlin gefahren, es mag eine recht lange Reise gewesen sein. In Wendisch-Tychow, an dessen Südgrenze die Wipper fließt, ließ er um 1840 mit einem Aufwand von 100 000 Thalern einen sieben Kilometer langen Kanal bauen, der aus der Wipper und wieder in die Wipper führte und durch den man 800 Morgen Rieselwiesen gewann. Eduard Erdmann Heinrich v. Kleist gründete die nach im benannten Vorwerke Eduardsruh und Erdmannshof. Als der Sohn und Erbe dieses recht wohlhabenden Mannes in der Wiege lag, brannte das damals einstöckige Gutshaus ab und wurde in der Folgezeit so neu errichtet, wie wir es als Hauptteil des Hauses gekannt haben. Ein recht geräumiger Wirtschaftsflügel im Fachwerk etwa aus der Zeit 1750-1770 war beim Brand erhalten geblieben und stand, von der Anfahrt aus gesehen, links vom Hauptteil. Der Sohn Ewald Heinrich Erdmann Bogislaff v. Kleist (1821-1892), der beim Brand des Gutshauses in das Pfarrhaus gerettet worden war, heiratete 1850 Anna Auguste Leopoldine v. Kleist, deren Vater Landrat in der Provinz Sachsen und dort Besitzer der Güter Collochau und Pollzen war, er gehörte zur Zützener Linie der Familie. Ewald Heinrich Erdmann Bogislaff v. Kleist war am preußischen Königshof Kammerherr, später Vice-Oberzeremonienmeister, er gehörte mit seiner Frau zum engeren Cirkel der Kaiserin Augusta - der Bonbonniere. Da seine Frau das Wendisch-Tychower Klima nicht sehr vertrug, kaufte er die Burg Lahneck, die an der Mündung der Lahn in den Rhein liegt. Der Vorbesitzer der Burg war der ehemalige König von Serbien, Milan, gewesen. Von der Burg aus war man auch der Kaiserin bei deren Aufenthalten in Koblenz nahe. Nach dem Tod von Anna Auguste Leopoldine v. Kleist wurde die Burg wieder verkauft. Trotz der guten Beziehungen zur Kaiserin stand Ewald Heinrich Erdmann Bogislaff v. Kleist auch mit dem Reichskanzler v. Bismarck in gutem Einvernehmen, er beriet ihn beim Ankauf und bei der Bewirtschaftung von Varzin im Kreise Rummelsburg. 1869 erhielt der Zweig Wendisch-Tychow mit Ewald Heinrich Erdmann Bogislaff v. Kleist den Grafentitel, der an den Besitz von Wendisch-Tychow gebunden war und sich nur auf den ältesten Sohn vererbte. Als sich der Kammerherr, wie Ewald Heinrich Erdmann Bogislaff v. Kleist genannt wurde, nach Wendisch-Tychow zurückzog, richtete er sehr bald eine Ziegelei ein. Mit den Ziegeln, die hier gebrannt wurden, muß dann eine rege Bautätigkeit eingesetzt haben. Zwischen dem Hauptteil des Gutshauses und dem Wirtschaftsflügel entstand ein Verbindung steil und zur anderen Seite hin wurde der Hauptteil durch einen Anbau vergrößert, in dem fortan eine Bibliothek und die Halle mit einem großzügigen Treppenaufgang lagen. Ein kleiner Erkervorbau mit einem Turm darauf im Stile der Zeit an der „Nahtstelle" des Anbaus zum Hauptteil des Hauses sollte das Ganze ansehnlicher gestalten. Auf der Giebelseite des Anbaus wurde ein großer Balkon angebaut, unter dem sich eine Vorfahrt befand, d. h. hier konnten die Wagen so vorfahren, das die Ankommenden und Abfahrenden trocken und sauber zum Ein- und Aussteigen kamen. Von der Zeit um 1870 bis Ende der achtziger Jahre entstanden im Dorf wie auch auf den Vorwerken eine Anzahl von Landarbeiter-Wohnungen und ein Gasthaus im Dorf wurde gebaut. Ferner wurde der Turm der alten Kirche renoviert und es erfolgte ein Anbau an der Kirche für das Patronatsgestühl und für eine Gruft. Auf dem Gutshof wurde eine Brennerei sowie eine große Anzahl von Stallgebäuden errichtet, die innerhalb des großzügig angelegten Gutshofes bis 1945 erhalten geblieben waren. Friedrich Wilhelm Graf v. Kleist (1851 -1936), der folgende Besitzer von Wendisch-Tychow, trat nach Schule und Militärzeit sowie Studium in diplomatische Dienste. Auf seinem ersten Auslandsposten in Rom lernte er seine spätere Frau, Leonie Gräfin v. Kospoth, kennen, die ihre Geschwister an der deutschen Botschaft zu Rom besuchte. Bald nach der Heirat kam Friedrich Wilhelm Graf v. Kleist als Legationssekretär an die deutsche Vertretung in Lissabon, von wo aus er mit seiner jungen Frau viel gereist ist, um die Schönheiten des Landes zu sehen. Gleichzeitig konnte das Ehepaar äußerst günstig wertvolle und schöne Möbel kaufen, die den Grundstock für die sehenswerte Einrichtung des Wendisch-Tychower Hauses bildeten. Bei weiteren dienstlichen Aufenthalten in Stockholm, Stuttgart und Caracas/Venezuela, wo die deutsche Gesandtschaft auch die Interessen Englands und der Niederlande vertrat, sammelten Graf und Gräfin v. Kleist noch manches wertvolle Möbel- und Einrichtungsstück, das man später in Wendisch-Tychow bewundern konnte. Um die Jahrhundertwende zog die um vier Söhne vergrößerte Familie ganz nach Wendisch-Tychow. Da Friedrich Wilhelm Graf v. Kleist aber nach wie vor gern auf Reisen war, übernahm der älteste Sohn Ewald Malte Werner Erdmann (1882-1953) die Bewirtschaftung des Gutes, was er mit einer regen Tätigkeit in politischen und nationalen Gremien verband. Unter ihm wurde 1926 in Verbindung mit der Erneuerung des Daches der Turm abgenommen, sein Unterbau verblieb als söller-ähnlicher Balkon. Dafür wurden einige Erkerfenster in das Dach eingebaut. Unter Ewald Malte Werner Erdmann Graf v. Kleist wurde durch die Besetzung durch die Russen im März 1945 das Wirken der Kleist auf Wendisch-Tychow unterbrochen. Zur gleichen Zeit fiel in Ungarn der einzige Sohn Volker v. Kleist aus der Ehe mit Margarete Gräfin Finck v. Finckenstein. Graf und Gräfin Ewald v. Kleist wurden, nachdem sie die schlimmsten Wirren des Krieges auf dem einsam gelegenen Stüwehof überstanden hatten, im Frühjahr 1946 in Schlawe gefangen gehalten und danach ausgewiesen. Das Wendisch-Tychower Haus, aus dem viele Generationen Kleist hervorgingen und der alte Wirtschaftsflügel stehen nicht mehr, wie auch viele Gebäude des Gutshofes und im Dorf, aber die Wendisch-Tychower Flur und die Forst sind, wenn auch erstere in schlechtem wirtschaftlichen Zustand, unverändert und warten darauf, daß wieder ein Kleist kommen möge!

Sigrun v. Bandemer, geb. v. Kleist

Graf Friedrich-Wilhelm im Kreis seiner Familie ca. 1936

von links: Diether-Dennies, Margarete, Friedrich-Wilhelm, Dietlind, Ewald, Sigurd, Ortrun, Volker

 

  Links:

Beispiel für die Wahrnehmung englischer Interessen durch Friedrich Wilhelm in Venezuela 1893

Friedrich Wilhelm unterstützte die Gründung der Deutschen Schule 1894 in Caracas

Burg Lahneck

Tafelsilber von Kurt v. Kleist (Wendisch-Tychow) im Museum in Stolp

Erinnerungen von Leonie Gräfin von Kleist

Brief von Friedrich Wilhelm an Carl Justi in der Staats- und Universitätsbibliothek Bonn

Bilder:

Gemälde von Leonie v. Kleist

Ewald Graf v. Kleist und Margarete Gräfin v. Kleist

Silberhochzeit am 5. 8. 1939

Generalfeldmarschall v. Mackensen in Wendisch Tychow

Hochzeiten

Volker v. Kleist

 

    Texte:

Bericht im Michaelsboten der Iglesia Evangelica-Luterana en Venezuela in den Jahren 1954/55 über die Unterstützung des Grafen Kleist bei der Gründung der deutschen evangelischen Gemeinde in Venezuela

Schiffseintragungen für die Einreisebehörde in New York im Jahr 1894 für Friedrich Wilhelm, seine Familie und den Diener Ruhnow bei der Rückreise von Venezuela

Graf Ewald von Kleist: Zur Geschichte des Kirchenkreises Schlawe (Vortrag vom 11.5.1933, in Der Kreis Schlawe, Bd. 1, Husum 1986)